Monday, June 20, 2016

Kapitel 3 - Barliona: Spiel ums Überleben (Der Weg des Schamanen Band 1)

Kapitel 3. Die Pryke-Mine. Der erste Tag

TUU-UU-UUT! BUMM!
Ich sprang aus dem Bett und sah mich in Panik um. Was, wer, wo, wie? Ein Feuer! Ich muss schnell raus hier! Meine Ohren klingelten von dem Geräusch des Signalhorns, das plötzlich laut ertönt war, und meine Füße schienen nachgeben zu wollen. Ich wusste nur, dass ich mich irgendwie retten musste, und rannte um das Bett herum. Komisch, mein Gehirn schien zu funktionieren, doch mein Körper bewegte sich unkontrolliert. Das war also Panik! Sogar meine Augen ließen mich im Stich: Die anderen Sträflinge zogen sich ruhig an, ohne sich von dem schrecklichen Lärm beeindrucken zu lassen.
„Setz dich hin, schließe die Augen und versuche, dich zu entspannen. Es geht vorbei”, sagte eine Stimme neben mir. „Sie haben wohl vergessen, dich vor unserem Weckruf zu warnen. Er hat bei Neuankömmlingen diesen Effekt. Sobald du gelernt hast, rechtzeitig aufzuwachen, hörst du ihn nicht mehr. Versuche, dich zu beruhigen. Je aufgeregter du bist, desto schlechter fühlst du dich.“
‚Das sind sie also, die Details meiner Haftstrafe, die zuvor nirgendwo erwähnt wurden! Nicht nötig, sie aufzuschreiben, überraschen wir den Sträfling einfach damit‘, dachte ich ärgerlich, setzte mich aber auf das Bett, schloss die Augen und versuchte, mich zu beruhigen. Das war leichter gesagt als getan, denn ich war noch immer angespannt, mein Kopf schmerzte und das Klingeln in meinen Ohren hätte es mit dem Läuten von Kirchturmglocken aufnehmen können.
Ich muss mich ablenken , dachte ich. Darum zwang ich mich dazu, mein Gehirn arbeiten zu lassen. Was sollte ich am besten zuerst tun? Ich brauchte einen Plan für den nächsten Tag, die nächste Woche und das nächste Jahr, und dieser Plan sollte sinnvoll und langfristig angelegt sein.
Ich überlegte, welche Dinge für heute wichtig waren:
1.       Mit den Regeln und Leuten hier vertraut werden.
2.       Meine Fähigkeiten als Schamane ergründen.
3.       Sicherstellen, dass ich die Tagesquote erreiche.
4.       Wahlweise: etwas mehr als die Tagesquote erarbeiten und mich über Möglichkeiten zum Geldverdienen informieren.
Das reichte für heute. Als Nächstes war der Plan für die Woche dran:
1.       Herausfinden, wie die Aussichten sind, meine Fähigkeiten zu verbessern und wie schnell ich sie entwickeln kann.
2.       Ersatzkleidung für meine gestreifte Kleidung finden.
3.       20 Silbermünzen verdienen, um das Juwelierhandwerk freischalten zu können.
Als Letztes machte ich den Plan für das Jahr. Das war einfach:
1.       Überleben und nicht verrückt werden.
2.       Einen Edelstein finden.
3.       Wahlweise: von der Mine in die Hauptspielwelt wechseln.
Nachdem ich einen Aktionsplan für die nahe Zukunft geschmiedet und meine Gedanken geordnet hatte, öffnete ich die Augen und sah einen Sträfling, der auf dem Bett neben mir saß und mich aufmerksam betrachtete. Der Mensch - er war eindeutig ein Mensch, sonst müsste ich mich schon sehr irren - wies eine bemerkenswerte Ähnlichkeit mit einem Zwerg auf: Er war klein und untersetzt und hatte strahlende, Augen mit einem durchdringenden Blick. Ich stellte fest, dass in seinen Augen keinerlei Aggression zu sehen war. Ich sah Interesse und Mitgefühl – alles, nur keine Aggression.
‚Mit den Sträflingen hier stimmt etwas nicht‘, dachte ich bei mir. ‚Vielleicht graben sie ja das falsche Erz aus.‘
„Hast du dich erholt?“, fragte er, und am Klang seiner Stimme erkannte ich, dass er derjenige gewesen war, der mir die Sache mit dem Weckruf erklärt hatte. „Zieh dich an, wir sollten zum Essen gehen. Du kannst nicht arbeiten, wenn du nichts isst. Und nimm deine Spitzhacke und deinen Beutel mit, denn du kommst vor heute Abend nicht zurück.“
„Da... danke, Kartalonius“, sagte ich, während ich mit etwas Mühe den Namen las, der blass über dem Spieler leuchtete. Ich zog mir schnell eine saubere Jacke über. Sträfling zu sein hatte wenigstens einen Vorteil: Die Kleidung reinigte sich von selbst. Fantastisch! Dann nahm ich die Spitzhacke und folgte Kartalonius.
„Du kannst mich einfach Kart nennen“, lachte er, als er sich nach mir umdrehte und langsamer wurde, damit ich ihn einholen konnte. „Etwas anstrengend, jedes Mal diesen Zungenbrecher auszusprechen. Kart reicht aus. Ich habe mich inzwischen daran gewöhnt, schließlich bin ich schon elf Jahre hier ... und ich habe noch vier Jahre vor mir“, fügte er nach einer kurzen Pause traurig hinzu. „Aber konzentrieren wir uns nicht auf die negativen Dinge. Wir müssen hier miteinander leben, darum lass uns gleich einen guten Anfang machen. Ich hoffe, du bist nicht zu nervös. Heute Morgen bist du um dein Bett herum gerast, als ob du deinen Fuß mit der Spitzhacke getroffen hättest. Und du hast geschrien: ‚Feuer! Rette sich, wer kann!‘“
Ich spürte, wie ich unfreiwillig rot wurde. Hatte ich wirklich geschrien? Mein kopfloses Rennen musste ziemlich lächerlich ausgesehen haben. Insgeheim verfluchte ich die Klugscheißer, die sich den Weckruf hatten einfallen lassen. Dann sah ich Kart an. Der „Kleine“ war also nicht so harmlos, wie er aussah. Er hatte nicht ohne Grund 15 Jahre bekommen. Man musste schon einiges auf dem Kerbholz haben, um so hart bestraft zu werden.
„Mach dir nicht so viele Gedanken“, lächelte Kart, als er meine Reaktion sah. „Diese Mine ist einzigartig, man wird nicht zufällig hierhergeschickt. Wir haben hier hauptsächlich Betrüger und Veruntreuer und sogar einen Entführer. Aber gewalttätige Leute gibt es nicht. Wenigstens noch nicht. Hat dir der Direktor erklärt, was passiert, falls du gegen die Regeln verstößt?“
Ich schüttelte den Kopf und kreuzte in Gedanken das Kästchen „Die NPCs in der Mine sind echte Mistkerle“ an.
„Es ist ganz einfach: Sobald du jemandem absichtlich Schaden zufügst, egal ob mit der Hand, einer Spitzhacke oder einem Stein, sinkt deine Energie auf 0 und du fällst völlig entkräftet zu Boden. Steht deine Energie auf 0, verlierst du alle fünf Sekunden einen Trefferpunkt, während sich die Energie nicht regeneriert. Wenn du nicht sofort Wasser bekommst, stirbst du innerhalb weniger Minuten. Und ich sage dir, Sterben ist eine sehr unangenehme Erfahrung, besonders weil du alle Fähigkeitslevel verlierst, die du bereits erreicht hattest. Das ist das Besondere an unserer Mine. Für viele Bewohner ist das schlimmer als sterben, denn ein Handwerk auf einem niedrigen Fähigkeitslevel auszuüben, ist eine mühselige Angelegenheit. Außerdem ist es ziemlich teuer, ein höheres Level zu erreichen.“
Ein Handwerk ausüben? Wovon redete er?
„Das ist in Ordnung. Ich halte mich an meine eigene Regel, dass ich niemanden belästige, solange mich niemand belästigt. Aber kannst du mir mal sagen, warum mir noch niemand einen feindlichen Blick zugeworfen hat?“, fragte ich und zeigte auf einen Gnom, der Kart freundlich zuzwinkerte. „Man bekommt das Gefühl, dass die Leute hier keine Kriminellen sind, sondern ganz gewöhnliche Arbeiter, die ihren Job erledigen und dann nach Hause gehen, sich mit einem kühlen Bier aufs Sofa setzen und ... Entschuldige, ich träume laut vor mich hin. Aber in Gefängnissen sieht es normalerweise ganz anders aus. Wir befinden uns zwar in einer virtuellen Realität, doch die Leute hier sind echt und jeder einzelne von ihnen ist ein Krimineller. Sie sehen einen voller Interesse, ja, fast mit Begeisterung an, wie Tänzer auf einem Ball. Solche Blicke sind mir noch nicht einmal im wirklichen Leben begegnet, und wir sind im Gefängnis. Worin liegt das Geheimnis?“
„Gut aufgepasst, du hast gleich den Kern der Sache getroffen“, bemerkte Kart, während er sich in der Schlange einreihte, die um Essen anstand.
„Schau, das ist Altarionus, oder einfach Alt.“ Er schlug dem Mann vor uns auf die Schulter. „Hallo, Alt, hast du es geschafft, etwas grüne Farbe für die Leinwand zu kaufen?“
Trotz der lockeren Begrüßung drehte Alt sich gelassen um und anstatt einen Streit anzufangen, lächelte er freundlich zurück.
„Oh, hallo, Kart! Nein, ich habe sie noch nicht gekauft. Die verflixte Farbe kostet fast fünf Goldmünzen, doch ich habe nur etwas mehr als drei. Man kann hier so hart arbeiten wie man will und verdient trotzdem nicht mehr als zehn Silbermünzen am Tag. Der Direktor wird sein neues Gemälde wohl erst in ein paar Wochen bekommen. Es kribbelt mir in den Fingern, es fertigzustellen. Ich gehe die Wände hoch, wenn die Arbeit nicht bald erledigt ist! Ich habe mehrmals versucht, Rine zu überzeugen, mir die Farbe zu schenken oder mir einen Preisnachlass zu geben. Ich habe an seine sanfte Seite appelliert und ihm gesagt, dass ich nur noch 10% benötige, bis ich als Künstler Level 5 erreicht habe, doch der Zwerg ist stur. Es stimmt, was man sagt: Es ist leichter, mit einer Wand zu verhandeln als mit einem Zwerg. Und du, junger Mann, was bist du von Beruf?“
Endlich verstand ich es. Die luxuriöse Innenausstattung des Verwaltungsbüros, die freundlichen Blicke der anderen Sträflinge – kreative Menschen können andere nicht feindlich ansehen – und Karts Bemerkung, dass diese Mine einzigartig wäre und sie nicht jeden hierher schicken würden: Ich war in einer Mine für Meisterhandwerker gelandet – Leute, denen bei ihrer Strafverhängung ein Beruf gegeben worden war. Deshalb war es hier so ruhig, darum war Kart so freundlich und Alt so gesprächig. Wenn man die letzten zehn Jahre damit verbracht hatte, kreative Handwerksarbeit zu leisten, verlor man früher oder später seine negative Haltung. Es handelte sich hier also eher um eine Zone zur Rehabilitation und Umschulung der Sträflinge als um eine Mine. An was für einem Ort war ich bloß gelandet!
„Ich bin Juwelier”, murmelte ich etwas ratlos. Nun sah ich die Sträflinge plötzlich in einem anderen Licht. In der Mine lebten einige hundert Seelen – Menschen, Gnome, Zwerge und sogar ein Ork. Wie Rine schon gesagt hatte, gab es Bildhauer, Glasbläser und einen Holzschnitzer. Bei dem Holzschnitzer handelte es sich höchstwahrscheinlich um den Ork, der nicht weit von uns in der Schlange stand und ein Stück Holz in seinen Händen drehte.
„Du hast einen echt seltenen Beruf!“, rief Kart begeistert aus. „Während meiner ganzen Zeit hier hat es noch keinen Juwelier gegeben! Ich habe einen guten Rat für dich, mein Freund. - Guck mich nicht so misstrauisch an, ich gebe dir keinen schlechten Rat. - Reiß' dich zusammen, vergiss deine Müdigkeit und übertriff deine Quote. Dein Ziel sollte es sein, Geld zu verdienen, damit du deinen Hauptberuf freischalten kannst. Und wenn du in dem Beruf levelst ... Nein, das verrate ich dir nicht, du wirst es selbst herausfinden. Übrigens, je mehr du dir erarbeitest, desto mehr Geld bekommst du, und mehr Geld bedeutet hier ein leichteres Leben. Stimmt's, Alt?“
Alt nickte zustimmend.
„Und was bist du von Beruf? Worauf bist du spezialisiert?“, fragte ich Kart und rechnete ihn bereits den Bildhauern zu.
Zu meiner Überraschung antwortete Kart nicht. Sein Blick verfinsterte sich, bevor er sich umdrehte und auf die weit entfernten Bergspitzen starrte.
„Hat er dort einen Drachen entdeckt oder habe ich eine unangenehme Frage gestellt?“, fragte ich Alt.
„Unsere Ordnungshüter haben sich einen grausamen Scherz mit Kart erlaubt: Sein Beruf ist noch seltener als deiner. Er ist ein Informant“, erwiderte Alt. „Kart wird es dir nicht erzählen, darum werde ich es tun. Je höher das Level unseres Hauptberufs ist, desto mehr ... wie soll ich es ausdrücken? ... Freude fühlen wir, wenn man so will, Zufriedenheit. Darum versuchen alle in der Mine, ein höheres Level zu erreichen – alle außer Kart. Um ein höheres Level erreichen zu können, müsste er dem Direktor Informationen über uns geben. Wenn du bedenkst, dass Karts Level als Informant nach zehn Jahren Haft immer noch 0 ist, kannst du dir ausrechnen, wie oft er seinem Beruf nachgeht. Sobald du mit deinem Juwelierhandwerk Level 1 erreicht hast, wirst du verstehen, was ihm vorenthalten wird.“
„Tut mir leid, Kart, das wusste ich nicht“, murmelte ich verlegen.
„Schon gut, ich habe mich daran gewöhnt. Aber ich bin auf Level 18 in Gesprächigkeit. Ja, dieses Attribut gibt es, ob du es glaubst oder nicht. Das hilft mir, durchzuhalten. Übrigens, durch unser Gespräch habe ich es um 0,5% erhöht, und wir haben noch nicht einmal lange geredet. Du wirst mich in Zukunft also nicht so leicht loswerden.“
Nun wusste ich, warum Kart an mir interessiert war. Und ich war naiv genug gewesen, zu glauben, dass er einfach ein guter Mensch war, der mir helfen wollte. Weit gefehlt – es war reine Berechnung, Leistung und Gegenleistung.
Während wir uns noch unterhielten, erreichten wir den Platz, an dem das Essen ausgegeben wurde. Gestern hatte ich ihn nicht gesehen, zumal er sich direkt hinter der Schmiede an einem der Eingänge zur Mine befand. Dieser Essensplatz konnte kaum als Platz bezeichnet werden, denn alles, was dort stand, war ein meterhoher Bottich, aus dem ein Wärter den Sträflingen das Essen auf die Teller schöpfte. Das war alles, keine Feuer, keine Zelte oder Unterstände. Auf dem Boden vor dem großen Kessel waren die sauberen Teller aufgestapelt, und die Häftlinge nahmen sich einen und traten heran, um sich ihre Portion abzuholen. An jedem Teller war ein Löffel festgebunden. So ähnlich wie bei einem Rasselspielzeug. Ich fragte mich, wo das schmutzige Geschirr gesammelt wurde, konnte jedoch nichts entdecken. Na gut, ich würde beobachten, was Kart machte, und dann das Gleiche tun.
Das Erste, was mir durch den Kopf schoss, als ich meinen gefüllten Teller erhielt, war: ‚Auf keinen Fall werde ich DAS essen. Nie im Leben!‘ Was der Aufseher mir gegeben hatte, konnte man beim besten Willen nicht als „Essen“ bezeichnen. Es war ein hellgrüner, gleichförmiger Brei, der vor sich hin zu blubbern schien. Obwohl er flüssig aussah, lief er nicht vom Teller, sondern erstarrte zu einer unappetitlichen Masse. Zum Glück war sie völlig geruchlos, sonst hätte ich mich an Ort und Stelle übergeben.
„Nimm deinen Teller und mach, dass du weiterkommst“, sagte der Aufseher mit einem hämischen Grinsen, als er meinen Gesichtsausdruck bemerkte. „Du bist hier nicht im Urlaub. Entweder du isst die Grütze oder du verhungerst. Und?“ Er hielt mir den Teller erneut hin.
Ich nahm ihn und sah mich beim Weggehen um. Zu meiner Überraschung aßen die anderen Sträflinge das Zeug, als wäre ihnen das Aussehen des Essens gleichgültig. ‚Entweder sie haben die Hoffnung aufgegeben und sich daran gewöhnt oder ich kapiere es einfach nicht‘, dachte ich verwirrt. Das waren also die beiden Möglichkeiten: die Abscheu völlig verdrängen und DAS DA essen oder das unvergessliche Vergnügen genießen, wenn sich der eigene Magen selbst verdaute. Diese Entwickler waren vielleicht Mistkerle!
Während ich als Jäger gespielt hatte, war mir nie aufgefallen, dass es einem Charakter ohne Essen schlecht ging. Wenn man lange Zeit nichts aß, wurde man allmählich träge, unbeweglicher und man verdiente Erfahrungspunkte langsamer, doch es gab keine katastrophalen Konsequenzen. Nicht einmal in meinen schlimmsten Albträumen konnte ich mir nicht vorstellen, wie es sich anfühlte, wenn sich der Magen selbst verdaute. Ein weiteres nicht erwähntes Detail meiner Haftstrafe? Oder spielten gewöhnliche Spieler unter vereinfachten Bedingungen, während man es hier mit der extremen Hardcore-Version zu tun hatte? Oder vielleicht war alles, was man mir erzählt hatte, auch nur ein Bluff und mir würde nichts passieren? Ich bekam Kopfschmerzen vom vielen Nachdenken und bedauerte, dass ich mich bei der Vorbereitung auf die Haftstrafe nicht näher mit diesem Detail beschäftigt hatte.
Ob ich nun wollte oder nicht - ich musste mich entscheiden: War ich bereit, das Risiko einzugehen und herauszufinden, ob man ohne Essen starb? Nein, musste ich beschämt zugeben. Selbst wenn es ein Spiel war, war ich psychisch nicht zum Sterben bereit, nicht einmal im virtuellen Sinn. Bei meinen 87 Levels als Jäger war ich nur einige Male gestorben, bevor es mir auf Level 30 gelungen war, meinen Gegner zu kontrollieren. Von da an spielte ich wie Koschtschei, der Ewige.[1] Nun musste ich sogar lächeln, denn mein Koschtschei (mein Jäger) war durch Maria, die Weise[2] (Marina) vernichtet worden. Außerdem waren meine Sinnesfilter ausgeschaltet, wodurch Tod nur bedeutete, dass die Verbindung zu Barliona für einige Stunden unterbrochen sein würde.
‚Mir bleibt also nichts anderes übrig, als zu essen‘, dachte ich und starrte hasserfüllt auf meinen Teller, auf dem die Grütze immer noch blubberte. Ich überwand meinen Ekel und nahm den ersten Löffel voll von dem Zeug, während ich die Leute um mich herum beobachtete. Zuerst fühlte ich ein leichtes Prickeln im Mund, als ob ich einen Brausebonbon lutschen würde. Dann entdeckte ich überrascht, dass die Grütze einen angenehmen Geschmack hatte. Als das Prickeln in meinem Mund einem Glücksgefühl im ganzen Körper wich, aß ich schnell die ganze Portion und war nicht einmal überrascht, als die Meldung über einen Buff, ein positives Ereignis, erschien:

Erhaltener Buff: Stärke + 1, Energieverlust für die Dauer von 12 Stunden um 50% reduziert.

Sobald ich die Meldung gelesen hatte, verschwand der Teller aus meinen Händen. Klasse! Wenn das schmutzige Geschirr im wirklichen Leben doch nach dem Essen auch von allein verschwinden würde! Ich schwang meine Spitzhacke über die Schulter und folgte den anderen zur Mine. Mein erster Arbeitstag erwartete mich.
Die Mine begrüßte mich mit dem grafischen Staubeffekt, Windstille und brennend heißer Sonne.
Ich hatte im Bergbau erst Level 1 erreicht. Das bedeutete, dass ich zehn Erzstücke sammeln musste, gleichgültig, wie viele Level ich heute aufsteigen würde. Die Quote wurde beim Eintritt in die Mine berechnet, nicht beim Verlassen. So hatte ich Rine wenigstens verstanden. Ich plante, meine Quote zu übertreffen, und wollte heute 20 Stücke sammeln. Dann mal los! Ich warf den Beutel auf den Boden, nahm die Spitzhacke fest in die Hand und begann, auf den Steinhaufen einzuschlagen.
‚Nicht zu hart oder zu schwach zuschlagen, zwischen die Steine und nicht direkt auf sie zielen ...‘ Während ich arbeitete, rasten mir alle möglichen Gedanken durch den Kopf. ‚Ich muss auf meine Atmung und meine Energie achten ... Du musst genau zwischen die Steine schlagen ... Ich frage mich seit Jahr und Tag, „warum ein Bär den Honig mag. Summ! Summ! Summ! Ich frage mich, warum?“[3] ... Zwischen die Steine schlagen ... Hat der Hase wirklich den ganzen Honig für Pu auf den Tisch gestellt oder hat er sich etwas für schlechte Zeiten zurückbehalten? ... Achte auf deine Energie ... Verdammt, diese verfluchte Spitzhacke ist so schwer ...‘
Nach etwa einer Stunde brauchte ich eine Pause. Der Stabilitätsbalken der Kupferader hatte bei 60% angehalten, also musste ich noch mindestens zwei weitere Stunden auf sie einschlagen. Bei diesem Tempo würde ich heute höchstens drei Adern schaffen. Nicht gerade sehr viel! Ich musste schneller werden!
Meine Energie war auf 43 und die Trefferpunkte auf 35 gefallen, darum beschloss ich, etwas Wasser zu trinken, um sie aufzufüllen. Außerdem konnte ich so gleich herausfinden, wie die Wasserstelle funktionierte.
Der Wasservorrat befand sich in der Mitte der Mine. Es handelte sich um einen 20 qm großen Platz, ähnlich den Arbeitsbereichen der Sträflinge, doch es gab einen Unterschied: Er war nicht von Steinhaufen umgeben. Dort befanden sich sechs Brunnen, die etwa einen halben Meter breit und tief waren. Sie hatten keinen Deckel, sondern es waren einfach Löcher im Boden, die mit Steinen eingefasst waren. Es gab nur eine Schale zum Wasserschöpfen, die unachtsam auf dem Boden lag. Wie unhygienisch! Es war ganz gut so, dass es in einer virtuellen Welt keine Keime gab.
Nur eine einzige kleine Schale für sechs Wasserlöcher und 200 Sträflinge. Das erschien mir unmenschlich. Es war niemand an der Wasserstelle, darum nahm ich die Schale, beugte mich über einen der Brunnen und tauchte sie ins Wasser. Welcher Idiot hatte die glorreiche Idee gehabt, nur eine Wasserstelle für so eine große Mine einzurichten? Außerdem befand sie sich an einem ungünstigen Platz.
Nachdem ich das Wasser getrunken hatte, das lange nicht so gut schmeckte wie das, das Rine mir gestern gegeben hatte, waren meine Energie und Trefferpunkte wiederhergestellt, doch ich sah eine seltsame Meldung über einen Debuff vor mir:

Wasser verbraucht. Zeitdauer läuft ab in: 6 Stunden.

Ich hatte keinen Zugriff auf die Eigenschaften und die Beschreibung des Debuffs, weshalb ich mir keine weiteren Gedanken darüber machte und zu meinem Arbeitsbereich zurückkehrte.
Während der nächsten Stunde arbeitete ich zielstrebig daran, die Ader zu zerstören. Erst blieben noch 40% Stabilität, dann nur noch 20%. Nur noch etwas mehr! Ich biss mir auf die Lippe und hämmerte mit meiner Spitzhacke wie wild auf den Stein ein. Ich fragte mich, ob ich in der realen Welt auch fähig gewesen wäre, in diesem Tempo zu arbeiten, oder ob ich schon vor Müdigkeit umgefallen wäre. Nur noch 10% ... Plötzlich rutschte mir die Spitzhacke aus den Händen und ich fiel zu Boden.

Du bist müde. Aktuelle Energie: 10 von 100.
Deine Trefferpunkte sind um 30 gefallen. Insgesamt: 10 von 40.

Verdammt noch mal! Wie hatte ich die Energie vergessen können? In den Einstellungen richtete ich eine Meldung ein, die als Warnung aufleuchten sollte, falls meine Energie unter 30 sank. Jetzt war das Wichtigste, zum Wasser zu kriechen und unterwegs nicht abzukratzen! Der seltsame Debuff verschwand jedoch nicht, dafür hatte sich die Zeitanzeige geändert:

Wasser verbraucht. Zeitdauer läuft ab in: 4,5 Stunden.

Sobald ich das Wasser erreicht hatte, nahm ich die Schale und trank einige Züge. Während meine Müdigkeit langsam nachließ, starrte ich verständnislos auf den Text, der vor meinen Augen erschien:

Du hast zum zweiten Mal innerhalb von 6 Stunden Wasser verbraucht.
Verhängte Strafe: Die Fähigkeitspunkte werden um 10% reduziert. Der nächste Reduzierungsgrad: 20%. Achtung: Du hast noch keine Fähigkeitspunkte verdient, Gesamtstrafe: 0.
Du hast deine Trefferpunkte wiederhergestellt. Insgesamt: 40 von 40.
Du hast deine Energie wiederhergestellt. Insgesamt: 100 von 100.

Obwohl ich meine Energie wiedererlangt hatte, war ich zu niedergeschlagen, um zu fluchen oder meinen Gefühlen auf andere Weise Ausdruck zu verleihen. Ich stand auf und ging deprimiert zu meinem Arbeitsbereich zurück. Ich musste die Tagesquote in jedem Fall erreichen und durfte erst wieder in 4,5 Stunden Wasser trinken. Endlich dämmerte es mir, dass dieser Ort wirklich ein Gefängnis war und keine Freizeit- und Erholungsanlage.
Die Ader hatte nur noch 5% Stabilität übrig. Automatisch nahm ich die Spitzhacke, schlug systematisch zu und blendete meine Umgebung völlig aus.
Einige Minuten später flackerte der Stabilitätsbalken ein letztes Mal auf und der Steinhaufen verschwand. An seiner Stelle lagen sechs Erzstücke auf dem Boden. Ich las schnell die Meldung, die vor mir erschien, und wischte sie fort. Dann sammelte ich das Erz in meinen Beutel und begann mit der zweiten Ader.

Verdiente Erfahrung:      + 1 Erfahrung. Verbleibende Punkte bis zum nächsten Level: 99.
Fähigkeitssteigerung:      + 50% auf Bergbau. Insgesamt: 50%.
                             + 10% auf Stärke. Insgesamt: 10%.
                             + 5% auf Ausdauer. Insgesamt: 5%.

Man erhielt nur einen Erfahrungspunkt pro Ader ... Schlag ... Ich musste noch 99 Adern zerstören, um das nächste Level zu erreichen ... Schlag ... Drei bis vier Adern pro Tag ... Schlag ... Es dauerte mindestens einen Monat, ehe ich das nächste Level erreichte ... Schlag ... Ich würde hier verrecken ... Schlag ... Jedenfalls das, was von meinem Willen noch übrig war ...
In der nächsten Stunde, in der ich an der zweiten Ader arbeitete, sank ihre Stabilität auf 65% und meine Energie auf 30. Der Wasser-Debuff zeigte an, dass ich erst wieder in zwei Stunden trinken konnte, darum legte ich mich in den Schatten des Steinhaufens, um der brennenden Sonne zu entkommen. Ich schloss die Augen und stellte mir vor, dass ich in kühlem Wasser schwamm und es an meinem Gesicht herunterlief. Langsam trank ich das süße, kalte, belebende Wasser ...
Ein leises Quieken neben mir erklang wie ein Donnerschlag an einem schönen Tag und übertönte den durchdringenden Lärm der Spitzhacken. Ich sprang auf und blickte mich erschrocken um.
Auf einem der Steinhaufen in meinem Abschnitt saß eine riesige Ratte, ein etwa kniehohes Tier, und starrte mich an. Ich starrte wie betäubt auf das Tier, und eine Weile lang spielten wir diesen „Wettbewerb im Anstarren“. Was machten Ratten an diesem Ort? Hier gab es doch nur Steine. Wo fanden sie etwas zu fressen? Standen die Sträflinge etwa auf der Speisekarte? Diese Fragen blieben unbeantwortet, doch eines stand fest: Die Ratte war da und starrte mich an. Als käme sie zu einer Art Entschluss, schnaubte sie schließlich, sprang von der Kupferader herunter und verschwand aus meinem Blickfeld.
Erstaunt blickte ich für einige Minuten zu dem Steinhaufen hinüber, auf dem die Ratte gesessen hatte. Eine Ratte in einer Erzmine! Das war unmöglich! Das war ... Das war kostenlose Erfahrung! Erfahrung, die nicht vom Erzsammeln abhängig war! Sobald ich das zweite Level erreichte, würde ich alle meine Punkte benutzen, um ... Ich musste in meinem Abschnitt unbedingt auf Rattenjagd gehen. In dem Moment, in dem ich in Erwägung zog, die Ratte zu erlegen, erinnerte ich mich daran, dass Kart gesagt hatte, würde man jemandem Schaden zufügen, sänke die Energie auf 0 und man biss ins Gras. Mist! Galt diese Regel auch für Ratten? Das musste ich zuerst herausfinden, damit ich nicht in Schwierigkeiten geriet.
Zu meiner Überraschung war in der Zeit, in der ich mich ausgeruht und über die Rattenjagd nachgedacht hatte, meine Energie auf 80 gestiegen, meine Trefferpunkte waren wieder vollständig hergestellt und der Wasser-Debuff zeigte an, dass ich in weniger als einer Stunde wieder etwas trinken durfte. Ich nahm die Spitzhacke und beschloss, so lange zu arbeiten, bis meine Energie auf 30 gesunken war. Dann würde ich warten, bis die Zeit abgelaufen war, bis ich zur Wasserstelle gehen durfte. Dort würde ich jemanden fragen – wenn nötig, einen Aufseher – ob es eine Strafe für das Töten von Ratten gab.
Entweder hatte die Aussicht auf die Rattenjagd meine Kraft erhöht oder ich hatte den Dreh beim Arbeitsprozess inzwischen heraus, denn als meine Energie schließlich auf 30 gefallen war, betrug die Stabilität der Ader nur noch 15%. Die Zeit des Wasser-Debuffs war abgelaufen, und ich machte mich mit schmerzenden Knochen auf den Weg, um etwas zu trinken.
An der Wasserstelle drängten sich die Sträflinge. Offensichtlich hatten viele von ihnen den Punkt erreicht, an dem sie wieder trinken durften. Nachdem ich mich erfrischt hatte, sah ich mich nach Kart um, doch zu meiner Enttäuschung entdeckte ich ihn nirgends. Das Gleiche galt für Alt, und so ging ich nach Abwägung aller Pro- und Kontraargumente zu einem Aufseher.
‚Ich frage mich‘, dachte ich, während ich mich dem Wärter näherte, ‚ wo die Entwickler wohl die Vorlage für einen derart verachtenden Blick gefunden haben? Mit einem solchen Blick muss man geboren werden, den kann man sich nicht aneignen. Die Wärter sehen einen an, als ob man ein kleines, unwürdiges Etwas ist. Meine Güte, ich werde ... das ist wirklich äußerst unangenehm ...‘
„Was willst du?“, schnauzte der Wärter mich an, und es schien in der ganzen Mine widerzuhallen.
„Wird man für das Töten von Ratten bestraft?“, fragte ich schnell. Höflichkeit konnte ich mir bei den Wärtern sparen.
„Ratten? Hahaha! Du hast also beschlossen, ein Rattenjäger zu werden, was?“, lachte der Wärter. „Abgesehen davon, dass sie dich als kleinen Imbiss verspeisen, gibt es keine Strafe. Mit deinen kurzen Beinen kannst du sie sowieso nicht fangen! Man kann sie nur aus der Entfernung treffen, doch womit willst du sie denn treffen? Mit einem Stein? Hör auf, an Ratten zu denken, und beweg deinen Arsch zurück an die Arbeit!“
Richtig, abgesehen von dem total freundlichen Blick hatte man diesen Gesetzeshüter auch noch mit einem engelsgleichen Naturell ausgestattet. Aber wenigstens hatte ich die Information bekommen, die ich brauchte: Ich durfte Ratten jagen, ohne Angst vor einer Strafe haben zu müssen. Diese Gelegenheit musste ich nutzen.
„Warte!“, rief der Wärter mir nach. „Falls es dir doch irgendwie gelingen sollte, eine Ratte zu töten, kannst du bei Rine eine Belohnung dafür beanspruchen. Ratten gehen Rine noch mehr auf die Nerven als du mir. Vergiss nicht, den Rattenschwanz als Beweis mitzubringen.“

Nachricht für den Spieler!
Wenn du eine Ratte tötest, bringe den Rattenschwanz zu Rine und fordere deine Belohnung ein: für jeden Rattenschwanz 10 Kupfermünzen und + 2 Ansehen bei den Wärtern der Pryke-Mine.

Als ich wieder in meinem Abschnitt angekommen war, beschloss ich, so schnell wie möglich mit der zweiten Ader fertig zu werden, mit der dritten anzufangen, und sobald meine Energie auf 30% gesunken war, auf Rattenjagd zu gehen. Schließlich war es eine Gelegenheit, Geld zu verdienen und mein Ansehen zu erhöhen! Das konnte ich mir nicht entgehen lassen. In Gedanken war ich bereits auf der Jagd und bemerkte nicht, als der Stabilitätsbalken flackerte und die Ader verschwand.

Verdiente Erfahrung:      + 1 Erfahrung. Verbleibende Punkte bis zum nächsten Level: 98.
Fähigkeitssteigerung:      + 50% auf Bergbau. Insgesamt: 100%. Bergbau erhöht sich um 1.                                     Insgesamt: 2.
                             + 10% auf Stärke. Insgesamt: 20%.
                             + 5% auf Ausdauer. Insgesamt: 10%.

Ich warf einen kurzen Blick auf die erschienene Meldung und wischte sie dann fort, um das Erz aufzusammeln und mit der dritten Ader zu beginnen, als ...
Ich wurde von einer leichten, schwerelosen Freude erfasst, die wie ein kühles, frisches Bier war, das man nach der Sauna trinkt, und die mich von Kopf bis Fuß einhüllte. Dieses Gefühl war so unerwartet und so angenehm, dass ich herumspringen, singen und jemanden umarmen wollte. Wo bist du, Ratte? Ich liebe dich!
Das Glücksgefühl hielt nicht lange an, doch es hinterließ einen tiefen Eindruck in meiner Seele. Ja, es lohnte es sich allemal, sich dafür zwölf Stunden am Tag abzurackern. Ich konnte mir nicht vorstellen, was ich fühlen würde, wenn ich in einem meiner Attribute oder in meinem Hauptberuf leveln würde. Es konnte also durchaus vorteilhaft sein, dass die Sinneswahrnehmung in den Kapseln eingeschaltet war. Alt hatte recht, es war ein unvergessliches Gefühl.
Aus der zweiten Ader gewann ich sechs weitere Stücke Kupfererz, sodass ich mir keine Sorgen mehr um die Tagesquote machen musste und mir der Weg zum Geldverdienen offenstand. Das war der Stand der Dinge: Energie: 95, Stabilität der Ader: 100%, Bergbau: 2. Ich hatte noch fünf Stunden, bis der Tag zu Ende war. Also los!
Die Meldung zur Kontrolle meiner Energie, die ich in den Einstellungen eingerichtet hatte, erschien, nachdem ich etwa eine Stunde gearbeitet hatte. Ich setzte mich auf den Boden und bemerkte erfreut, dass die Arbeit angenehmer war, seitdem ich das zweite Level im Bergbau erreicht hatte. Nach etwa einer weiteren Stunde waren nur noch 45% von der Stabilität der Ader übrig, und ich strengte mich nicht einmal besonders an!
Nun musste ich die Rattenjagd planen. Ich konnte sie nicht verfolgen, weil ich nicht genug Energie und Ausdauer hatte. Beweglichkeit würde mir kaum helfen: Mit einem Punkt in diesem Attribut würde ich mir nur die Beine verletzen und nicht die Ratte. Wie wäre es mit einer Falle? Anscheinend würde ich alle Hände voll zu tun haben ...
Die Rattenpopulation in meinem Abschnitt entpuppte sich als ziemlich groß, ich zählte etwa fünf. Wie alle Tiere an Startorten waren die Ratten nicht aggressiv und verfügten über 30 Trefferpunkte. Diese beweglichen Biester huschten zwischen den Steinen hin und her und verharrten selten länger als ein paar Sekunden auf einer frei zugänglichen Stelle, sodass ich meine Pläne schon zum Scheitern verurteilt sah. Ich wählte eine Ratte aus und sah mir ihre Eigenschaften an:

Pryke-Minenratte. Beschreibung: Dieses äußerst bewegliche Tier tauchte vom ersten Tag an in der Pryke-Mine auf und bereitet der Verwaltung seitdem große Probleme. Für das Töten von Ratten gibt es eine Belohnung. Trefferpunkte: 30. Angriff: 10. Rüstung: 2. Magieresistenz: 2.

Als mir keine Lösung einfiel, rief ich mir automatisch meine Statistik ins Gedächtnis, um dort nach Möglichkeiten zu suchen.
Volk: Mensch, das erste Volk in Barliona. Hauptstadt: Anhurs ... Weiter ... Beruf des Charakters: Bergarbeiter, fähig, Erz zu gewinnen. Während sich das Level des Berufs erhöht, sinkt die Energie langsamer ... Weiter ... Klasse: Schamane. Ein spiritueller Mentor, der mit Geistern kommunizieren und sie um Hilfe bitten kann. Die beschworenen Geister helfen dem Schamanen, sich zu verteidigen oder verwundete Kameraden zu heilen. Starke Schamanen können ... Weiter ... Halt! Zurück!
Schamanen konnten mit Geistern arbeiten! Warum war mir das nicht früher eingefallen? Hatte ich nicht heute Morgen in meinem Plan aufgelistet, mehr über die Schamanen-Klasse herauszufinden?
Es dauerte eine Weile, bis ich verstanden hatte, wie sich das Zauberbuch öffnen ließ, das ich ausgewählt hatte, und begann, es zu studieren. Es gab nur zwei Zaubersprüche in dem Buch, doch die hatten es in sich!

Beschwörung des Schwächeren Geists der Heilung: Rufe die Welt der Geister an und beschwöre den Schwächeren Geist der Heilung, der der verletzten Person einen Teil seiner Lebenskraft gibt. Die Stärke des beschworenen Geists und die gegebene Menge an Lebenskraft werden von der Intelligenz bestimmt. Kamlanie[4] (Zauberzeit): 2 Sekunden. Kosten für die Beschwörung vor der Initiation als Schamane: (Levelhöhe des Charakters) = Anzahl der zu bezahlenden Trefferpunkte des Beschwörers, Heilungskosten: (Levelhöhe des Charakters) x 4 Mana. Stellt die Anzahl von (Intelligenz x 3) Trefferpunkten wieder her.
Angriff durch den Schwächeren Geists des Blitzschlags: Rufe die Geisterwelt an und beschwöre den Schwächeren Geist des Blitzschlags, um deinem Gegner einen Teil seiner Lebenskraft zu entziehen. Die Stärke des beschworenen Geists und die entzogene Lebenskraftmenge werden von der Intelligenz bestimmt. Kamlanie (Zauberzeit): 5 Sekunden. Kosten der Beschwörung vor der Initiation als Schamane: (Levelhöhe des Charakters) = Anzahl der zu bezahlenden Trefferpunkte des Beschwörers, Angriffskosten: (Levelhöhe des Charakters) x 4 Mana. Fügt (Intelligenz x 3) Schaden zu. Reichweite: 20 Meter.

Puh! Ich musste den Text mehrmals lesen, bevor ich ihn verstanden hatte. Sie machten es einem nicht gerade leicht. Und sie ließen sich etwas einfallen. Es war möglich, Geister zu beschwören, bevor man als Schamane initiiert worden war, doch man musste mit seinen eigenen Trefferpunkten bezahlen. Und je höher das Level des Charakters war, desto mehr kostete es. Ziemlich hart. Doch ich musste immer noch herausfinden, wie ich das alles anwenden konnte, vor allem da mir das Wort „Kamlanie“ ein Rätsel war. Ich hatte es noch nie zuvor gehört. Was bedeutete es und warum musste ich es zwei Sekunden lang ausführen? Ich wollte es gleich einmal ausprobieren. Die Ratten flitzten in meinem Abschnitt herum, doch eine saß auf einem Steinhaufen und sah mich an. Ob ich sie an Käse oder so erinnerte? Also gut, du bleibst dort sitzen und ich werde ...
„Geist, greife an!“, rief ich und zeigte auf die Ratte. Die Schnurrhaare der Ratte zuckten, und sie drehte ihre Nase hin und her, doch sie blieb sitzen, als ob nichts passiert wäre. Das hatte nicht geklappt!
„Ich rufe den Schwächeren Geist des Blitzschlags an, diese Ratte niederzustrecken! Greife an!“ Wieder zeigte ich in Richtung der Ratte.
Ich probierte es weiter mit „Geist, ich beschwöre dich!“ und „ Fall tot um!“, doch langsam dämmerte es mir, dass es so nicht funktionieren würde. Normalerweise wurde die Anwendung von Zaubersprüchen und besonders die Beschwörung von Geistern während der Initiation erklärt, die es für Sträflinge aber nicht gab! Die einzige Magie, die ich hatte verwenden können, als ich noch als Jäger spielte, waren Spruchrollen gewesen. Verdammt, wenn ich nur die Spielanleitung lesen könnte! Doch wer würde mir schon Zugriff darauf geben?!
Vielleicht lag die Lösung des Problems ja beim Zauberbuch selbst? Vorsichtig berührte ich das Piktogramm des Schwächeren Geists der Heilung. Es konnte ja nichts Gefährliches passieren, falls dieser Zauber tatsächlich funktionierte. Plötzlich sah ich die leuchtende Projektion eines Kreuzes auf meiner Hand. Es war klein und ich konnte es nicht fühlen, doch es blieb auch dann an meiner Hand, als ich sie öffnete. Ich schüttelte die Hand etwas, doch der Zauber löste sich nicht. Nun, das war immerhin schon mal etwas. Doch wie konnte ich den Zauber aktivieren? Ich ballte die Faust, um das Kreuz zu zerdrücken, und sofort erschien eine Meldung:

Willst du deinen aktiven Zauberkräften den Zauber „Beschwörung des Schwächeren Geists der Heilung“ hinzufügen?

Ja, wollte ich, und nun?

Der Zauber „Beschwörung des Schwächeren Geists der Heilung“ wurde deinen aktiven Zauberkräften hinzugefügt. Um den Zauber zu aktivieren, wähle ein Heilungsziel, aktiviere die Beschwörung mit deinen Gedanken und führe das Schamanenritual Kamlanie zwei Sekunden lang aus. Solange du noch nicht als Schamane initiiert bist, kannst du für das Ritual anstelle der Zaubertrommel ein beliebiges Objekt benutzen. Achtung! Aufgrund der Beschränkungen, denen dieser Ort unterliegt, ist das Beschwören von Geistern zur eigenen Heilung VERBOTEN.
Verfügbare Plätze im Bereich Aktive Zauberkräfte: 7 von 8.

Kamlanie musste mit einer Zaubertrommel ausgeführt werden? Bedeutete das, um heilen oder Schaden zufügen zu können, musste ich einen Tanz mit einer Trommel oder etwas Ähnlichem ausführen, bis ich als Schamane initiiert war? Mir wurde klar, warum diese Klasse so unbeliebt war: Niemand wollte wie ein tanzender, brabbelnder Idiot aussehen. Als ich noch als Jäger gespielt hatte, hatte ich Magier gesehen, die ruhig dastanden, mit ihren Händen auf den Feind zeigten und dann Blitze, Feuerbälle und Eispfeile schossen. Weit und breit keine Tänze mit einer Trommel. Das war echte Magie. Und hier ... Ich war niedergeschlagen, denn ich erinnerte mich daran, dass die Schamanen, die ich schon gesehen hatte, wirklich wie tanzende, brabbelnde Idioten aussahen. Zudem war mir die Möglichkeit genommen, mich selbst zu heilen. Wenn meine Energie sank, verlor ich Trefferpunkte, also käme ein kleiner Bonus wie die Selbstheilung sehr gelegen. Träum nur weiter ... Na ja, ich hatte immer noch den Geist des Blitzschlags!
Als ich das Symbol für den Angriff mit dem Schwächeren Geists des Blitzschlags berührte, erwartete ich, seine Projektion auf meiner Hand zu sehen, doch stattdessen erschien eine Meldung:

Aufgrund der Beschränkungen, denen dieser Ort unterliegt, ist die Verwendung des Zaubers „Angriff des Schwächeren Geists des Blitzschlags“ auf dem Gelände der Pryke-Kupfermine nur möglich, wenn dein Ansehen bei den Wächtern der Pryke-Mine den Status „freundlich“ oder höher erreicht hat.
Aktueller Status: Neutral.

Ich sackte völlig entmutigt in mich zusammen. Wie konnte das sein? Es gab diesen Bonus, und doch konnte ich ihn nicht anwenden. Warum hatten sie den Zauberspruch überhaupt im Buch gelassen? ‚Du kannst feiern, Herr Ratte‘, dachte ich bitter, ‚dein Leben wird lang und friedlich sein.‘ Tschüss Ansehen und adieu Geld. Dabei war das Glück so nahe gewesen.
Tief seufzend stand ich auf, schwang die Spitzhacke über die Schulter und ging in den Schatten, um mich auszuruhen und meine Energie wiederherzustellen. Meine enttäuschten Hoffnungen und der lästige Blick der Ratte, die mich immer noch anstarrte, machten mich ärgerlich. In meinen Gedanken wählte ich die Ratte aus, ergriff meine Spitzhacke, drückte auf das Symbol des Schwächeren Geists der Heilung in meiner Hand und stellte mir vor, zu tanzen und auf die Spitzhacke zu schlagen, als wäre sie eine Trommel. Dazu murmelte ich das erste Lied, das mir in den Sinn kam:
„Der Schamane hat drei Hände, oh, oh, oh ...“
‚Na, wie gefällt dir das, du kleines, graues Biest? Fall tot um und hör auf, über mich zu lachen.‘
Die Ratte quiekte seltsam und rannte davon. Sie machte einige merkwürdige Geräusche, doch darauf achtete ich kaum. Meine Aufmerksamkeit galt der Meldung, die vor meinen Augen auftauchte:

Fähigkeitssteigerung: + 10% auf Intelligenz. Insgesamt: 10%.
Deine Trefferpunkte wurden um 1 reduziert. Insgesamt: 29 von 40.

Begeisterung packte mich, denn ich hatte eine andere Möglichkeit gefunden, mein Level zu erhöhen! Ich war so erfreut, dass ich das graue, unglaublich schnelle Etwas nicht bemerkte, das hinter dem Steinhaufen hervorschoss und auf mich zu sprang.

Schaden erlitten. Trefferpunkte wurden um 4 reduziert: 10 (Rattenbiss) - 6 (Rüstung).
Trefferpunkte insgesamt: 25 von 40.
Achtung! Wir empfehlen, die detaillierte Schadensbeschreibung beim Kämpfen auszuschalten.

Mein Bein tat schrecklich weh. Verfluchte Ratte, bist du total verrückt geworden?  Ich heile dich und gebe dir ein längeres Leben, und zum Dank dafür greifst du mich an? 4 Trefferpunkte für einen Biss ... Verdammt! Wenn sie so weitermachte, würde sie mich zu Tode beißen! Ich trat mit aller Kraft nach der Ratte. Sie verlor nicht viele Trefferpunkte, doch sie rannte davon, sodass ich wieder zu Atem kommen konnte. Dann ergriff ich die Spitzhacke mit beiden Händen und bereitete mich auf den nächsten Angriff vor. ‚Du willst also Krieg? Fein, kannst du haben!‘
Als Jäger hatte ich höhere Level hauptsächlich durch das Töten von Monstern erreicht. Deshalb geriet ich nicht in Panik, sondern wusste genau, was ich gegen die Ratte unternehmen würde. Ich hatte zwar keinen Bogen, doch dafür verfügte ich über Erfahrung, die mir noch gut in Erinnerung war!
Die Ratte erholte sich schnell von meinem Tritt, und anstatt mich wieder ins Bein zu beißen, sprang sie hoch und wollte mir direkt an die Kehle gehen. Das hatte ich mehr oder weniger erwartet. Ich schwang die Spitzhacke und traf sie im Sprung, sodass sie durch die Luft flog. Kritischer Treffer! Der Rattenkörper flackerte kurz auf, und dann war er bereits eine schwerelose, rattenförmige Wolke, die sich rasch auflöste. Anstelle der Ratte fiel meine Beute auf den Boden.

Verdiente Erfahrung:      + 4 Erfahrung. Verbleibende Punkte bis zum nächsten Level: 94.
Fähigkeitssteigerung:      + 20% auf Stärke. Insgesamt: 40%.
                             + 5% auf Beweglichkeit. Insgesamt: 5%
                             + 10% auf Ausdauer. Insgesamt: 20%.

Das war ein guter Bonus! Mehrere Attribute hatten sich auf einmal erhöht und, was noch wichtiger war, man bekam 4 Erfahrungspunkte für eine Ratte. Wenn ich pro Tag mindestens fünf Ratten tötete und fünf bis sechs Kupferadern schaffte, würde ich etwa 25 Erfahrungspunkte verdienen. Das bedeutete, dass ich in weniger als einer Woche ein Level aufsteigen würde! Das neue Level würde neue Fähigkeitspunkte bringen, und neue Fähigkeitspunkte bedeuteten ein neues Level. Mein Leben hatte einen Sinn! Doch ich musste unbedingt herausfinden, warum die Ratte mich angegriffen hatte. Warum hatte ihr mein Heilen missfallen? Generierte es Aggressionen bei Monstern? Ich musste jemanden finden, der es mir erklären konnte.
Ich sammelte die Gegenstände ein, die die Ratte zurückgelassen hatte – das Rattenfell, Fleisch und den Schwanz – und beschloss, eine Pause zu machen. Ich hatte noch drei Stunden, bis der Arbeitstag endete, und in der Zeit musste ich die dritte Ader abbauen, und, sobald sich meine Gesundheit erholt hatte, würde ich noch eine Ratte „heilen“.
Die dritte Ader brachte mir + 5 Erzstücke, + 1 Erfahrung, + 10% Stärke, + 10% Ausdauer und + 50% Bergbau. Ich schaffte sogar noch eine vierte Ader, durch die ich mir + 5 Erzstücke, + 1 Erfahrung, + 10% Stärke, + 5% Ausdauer und + 1 Bergbau verdiente, sodass ich Level 3 im Bergbau erreichte. Da ich angesichts des neuen Levels wieder das intensive Glücksgefühl empfand, beschloss ich, wenigstens ein Attribut so schnell wie möglich zu erhöhen, um herauszufinden, in welche Art von Hochstimmung es mich versetzen würde.
Was die Ratten betraf, konnte ich nur noch eine weitere töten. Ich sang das Lied zwei Mal, ließ die Ratte nur einmal in meine Nähe kommen und erledigte sie ziemlich schnell, was mir + 4 Erfahrung, + 20% Intelligenz, + 20% Stärke, + 5% Beweglichkeit und + 10% Ausdauer einbrachte. Doch eines musste ich der Ratte lassen: Sie hatte ihre einzige Chance gut genutzt und mich für 10 Trefferpunkte gebissen. Danach konnte ich keine weiteren Ratten mehr entdecken, sie hatten sich wahrscheinlich versteckt. Das war in Ordnung, denn an meinem ersten Tag hatte ich mehr als genug erreicht.
Das Signalhorn erklang und verkündete das Ende des Arbeitstags. Ich nahm meinen schweren Beutel, machte mich auf den Weg zum Ausgang und stellte mich in der Schlange an, um Rine meine Tagesquote abzuliefern und ihm meinen Überschuss zu verkaufen, von dem ich eine Menge gesammelt hatte. Außerdem musste ich herausfinden, was ich mit den Rattenschwänzen machen sollte. Als ich an der Reihe war, entleerte ich den gesamten Inhalt des Beutels auf dem Tisch und bemerkte erfreut Rines Überraschung.
„Nicht schlecht für den ersten Tag“, murmelte Rine, noch immer verblüfft. „Zehn Erzstücke werden als Tagesquote abgezogen. Vergiss nicht, dass du morgen 30 Stücke abgeben musst. Mal sehen, wie viel du noch übrig hast. Wie ich schon gesagt habe, bin ich bereit, dir für jedes zusätzliche Stück Erz zehn Kupfermünzen zu geben. Du hast zwölf Stücke, das macht zwei Silber- und 20 Kupfermünzen. Bitte sehr.“ Rine legte das Geld auf den Tisch.
Ach ja. Ich vergaß, das Verhältnis von Kupfer-, Silber- und Goldmünzen zu erklären. In Barliona betrug die Quote 1:50. Man bekam also  eine Silbermünze für 50 Kupfermünzen und eine Goldmünze für 50 Silbermünzen. Dementsprechend wären 2.500 Kupfermünzen eine Goldmünze, doch wer würde schon einen Berg Kupfer gegen Gold eintauschen?
„Was deine Rattenbeute betrifft, würde ich dir eine Kupfermünze für das Fleisch geben und drei für die Felle. Einverstanden?“
„Das ist nicht viel“, sagte ich, womit ich mich selbst überraschte, denn ich feilschte sonst nie, noch nicht einmal auf dem Markt, sondern bezahlte immer den geforderten Preis.
„Also gut, weil du hier neu bist und weil du auch Rattenschwänze hast, zu denen wir gleich kommen, bin ich bereit, dir für die beiden Rattenfelle je fünf Münzen zu geben und für das Fleisch zwei Münzen. Bist du damit einverstanden?“
Plötzlich sah ich eine Meldung:

Ein neuer Beruf wurde freigeschaltet: Handel. Je höher das Level im Handeln ist, desto besser ist der angebotene Preis beim Kaufen und Verkaufen. Mit einiger Wahrscheinlichkeit werden Händler dir ausgefallene Waren anbieten.
Dein Ansehen bei den Wärtern der Pryke-Mine hat sich um 1 Punkt erhöht. Aktueller Status: Neutral. Du benötigst noch 999 Punkte, bis du den Status „freundlich“ erreicht hast.
Fähigkeitssteigerung: + 10% auf Handel. Insgesamt: 10%.

Natürlich war ich einverstanden! Das Level beim Handeln zu erhöhen, hing also davon ab, wie oft ich feilschte. Gut zu wissen. Ich war zwar kein Experte im Feilschen, doch ich konnte es lernen. Es freute mich, zu hören, dass der Verkauf von Bodenschätzen das Ansehen erhöhte, wenn auch nur ein wenig.
Ich willigte ein, gab Rine das Fleisch und wollte ihm gerade die Felle aushändigen, als jemand rief: „Mahan, warte!“
Ich drehte mich um und sah einen Mann auf mich zukommen, der mit seinem markanten Schnurrbart, irrem Blick und spitzem Kinn eine verblüffende Ähnlichkeit mit Salvador Dalí aufwies.
„Mahan, ich habe gehört, dass du deine Rattenfelle an diesen ehrenwerten Zwerg verkaufen willst“, sagte er und machte eine kleine Verbeugung vor Rine. „Doch jeder in der Mine weiß, dass Batiranikaus, oder einfach Bat, überaus erfreut wäre, sie dir für 15 Kupfermünzen pro Stück abzukaufen. Sind wir im Geschäft?“
„15 Münzen? Doch dieser ehrenwerte Zwerg hat mir angeboten, meine Felle für 20 Kupfermünzen pro Stück zu kaufen“, sagte ich und ahmte dabei seinen Ton nach. „Da wir uns schon geeinigt haben, bin ich nicht bereit, meine Beziehungen zu ihm für weniger als 25 Münzen zu riskieren.“ Ich zwinkerte dem Zwerg zu, der unseren Verhandlungen mit einem erfreuten Lächeln zuhörte.
„25 Münzen! Liebe Güte! Gut ... in Ordnung, ich gebe dir 25 Münzen pro Fell. Bitte sehr“, erklärte Bat sich überraschend schnell einverstanden und gab mir eine Silbermünze. „Jetzt gib mir meine Felle.“

Fähigkeitssteigerung: + 10% auf Handel. Insgesamt: 20%.

„Nimm sie dir“, sagte ich und zeigte auf die Rattenfelle, die auf dem Tisch lagen. Doch als ich mich wieder zu Rine umdrehte, um die Rattenschwänze zu verkaufen, wurde ich von einem lauten Schrei unterbrochen.
„Wärter!“, schrie Bat aus vollem Hals. „Mahan hat mich um Geld betrogen! Er ist ein Schwindler! Ich verlange Schutz!“
Sofort versammelte sich eine Gruppe Sträflinge um uns herum, und die Wärter hatten Mühe, sich einen Weg zu uns zu bahnen.
„Was ist hier los?“, fragte einer von ihnen mit tiefer Stimme.
„Verehrter Gesetzeshüter! Dieser unwürdige Mann“, rief Bat und deutete auf mich, „hat meine törichte Naivität ausgenutzt und mich um zwei Silbermünzen betrogen.“
„Stimmt das?“ Der Wärter drehte sich zu mir um.
„Natürlich nicht, ich ...“
„Er hat Bat bedroht, ich habe es selbst gesehen!“, unterbrach mich ein Ruf aus der Menge. „Er hat gesagt, er würde Bat umbringen, wenn er ihm das Geld nicht gibt!“ - „Gebt ihm kein Essen!“ und „Lasst ihn verrecken!“, riefen andere. Ich sah mich geschockt um, denn ich verstand nicht, was vor sich ging. Alle hatten einen liebenswürdigen Gesichtsausdruck, sogar Bat, der neben mir stand, mich freundlich ansah und schrie, dass ich ein Stück Dreck wäre und ihn betrogen hätte. Ich dachte, ich würde langsam den Verstand verlieren. Was passierte hier bloß?
„Ruhe!“ Mit einem scharfen Knurren ließ der Wärter alle verstummen. „Jetzt finden wir die Wahrheit heraus!“
Er murmelte etwas, woraufhin ein Hologramm neben ihm erschien, in dem man sehen konnte, wie Bat mir das Geld gab. Dann zeigte ich auf den Tisch, wo die Felle lagen, doch diese Geste konnte auch als „Verschwinde jetzt“ interpretiert werden. Ich drehte mich von Bat weg, als ob ich damit sagen wollte, dass die Unterhaltung beendet wäre. Verdammt! Von außen betrachtet konnte man wirklich den Eindruck gewinnen, ich wäre ein zwielichtiger Schieber. Die Projektion verschwand, und ich starrte den Wärter bewegungslos an.
„Hier ist meine Entscheidung“, knurrte der Aufseher. „Mahan gibt Batiranikaus eine Silbermünze zurück, ich wiederhole, EINE Münze, und weil es sich um sein erstes Vergehen handelt und er hier neu ist, ist der Vorfall damit erledigt. Wenn er noch einmal bei so etwas erwischt wird, werden ihm alle Fähigkeitspunkte entzogen. Das ist alles! Und jetzt alle zurück in die Baracken!“
Ich gab Bat das Geld zurück und griff nach den Rattenfellen, doch es war zwecklos. Meine Hand griff ins Leere, als ob die Felle nicht länger mir gehörten. Richtig, das war auch so! Ich hatte sie Bat bereits gegeben!
„Danke!“, sagte Bat mit einem Lächeln und steckte die Felle in seinen Beutel. „Komm zu mir, wenn du wieder welche hast.“
Bat schenkte mir ein weiteres Lächeln, ehe er davon ging. Ich stand völlig fassungslos neben Rine. Wie konnten Leute, die einen immerzu anlächelten, so hinterhältig sein? Es waren doch kreative Menschen, warum hassten sie andere so sehr? Diese Rufe: „Lasst ihn verrotten ... ich sah, wie er ihn bedrohte ...“ Warum?
„Du hältst die Schlange auf.“ Rines Stimme riss mich aus meinen Gedanken. „Du hast noch die Rattenschwänze. Ich kann diese grauen Viecher nicht ausstehen.“
„Ja, natürlich“, murmelte ich, als ich mich wieder zu Rine umdrehte. Ich musste mich zusammenreißen. Die Felle hatte ich zwar verloren, doch das nächste Mal würde ich schlauer sein und sie mit einem Lächeln aushändigen.
„Also gut, für jeden Rattenschwanz zahle ich zehn Kupfermünzen. Da hast du dein Geld. Verschwinde jetzt, die Schlange hinter dir wird nicht kürzer!“

Dein Ansehen bei den Wächtern der Pryke-Mine ist um 4 Punkte gestiegen. Aktueller Status: Neutral. Du benötigst noch 995 Punkte, bis du den Status „freundlich“ erreicht hast.

Nachdem ich gegessen hatte, machte ich mich auf den Weg zu den Baracken. Ich hatte heute keine Lust mehr, mit anderen Sträflingen zu sprechen. Lange Zeit konnte ich nicht einschlafen. Ich wälzte mich im Bett hin und her, doch das beklemmende Gefühl, ungerecht behandelt worden zu sein, ließ mich nicht zur Ruhe kommen.
„Hör auf damit! Dein Bett bricht noch zusammen, wenn du so weitermachst. Du hältst uns alle wach! Ist irgendwas passiert?“, hörte ich Karts Stimme neben mir.
Ich erklärte detailliert, was vorgefallen war, aber Kart lachte nur. Was denn jetzt? Ich erzählte ihm von einer großen Ungerechtigkeit, und er lachte über mich! Als er meine Empörung bemerkte, bedeutete er mir, näher zu kommen, räusperte sich und erklärte:  „Du hast mich zum Lachen gebracht, mein Freund, und es gibt hier nicht viel zu lachen. Was soll ich sagen ...? Herzlichen Glückwunsch, du bist über die zweite Besonderheit dieser Mine gestolpert. Normalerweise brauchen Neuankömmlinge etwas länger dafür. So wie ich es sehe, hast du aber noch nicht ganz verstanden, was hier wirklich vor sich geht, stimmt's?“
Ich schüttelte den Kopf, und Kart fuhr fort: „Ich werde dir einige Tipps geben. Erstens: Du hast heute wahrscheinlich dein Level im Bergbauberuf erhöht und erfahren, wie sich das anfühlt, richtig? Richtig. Behalte das im Hinterkopf. Zweitens: Es gibt unzählige Attribute, die ein Charakter haben kann. Davon sind viele außergewöhnlich, doch du kannst nur vier wählen. Wie du weißt, habe ich das wenig bekannte Attribut Gesprächigkeit. Ich verdiene Erfahrung, indem ich jedem alles erzähle. Verstehst du jetzt?“
Entweder war ich zu dumm, oder Kart und ich sprachen nicht die gleiche Sprache. Ich verstand einfach nicht, worauf er hinauswollte. Was hatten Gesprächigkeit, freie Attribute und das Glücksgefühl beim Leveln in einem Beruf miteinander zu tun?
„Also gut, ich befreie dich von deiner Unwissenheit, zumal es mir Gelegenheit gibt, mein Level zu erhöhen. Erinnerst du dich daran, was du heute Morgen bemerkt hast? Nein, warte, das Wichtigste zuerst: Du hast bereits das Glücksgefühl gespürt, als du in einem Beruf ein höheres Level erreicht hast, und ich bin sicher, dass es dir sehr gefallen hat. Doch das ist nichts im Vergleich dazu, wenn du in einem deiner Attribute ein neues Level erreichst. Das Glücksgefühl beim Erhöhen eines Attributs ist so stark, dass du immer mehr davon willst. Je höher das Level des Attributs, desto schwerer ist es, das nächste Level zu erreichen, das ist die Regel. Das ist der Grund, warum Spieler verschwinden, die Level 12 erreicht haben - das ist in der Pryke-Mine das höchste Level für Hauptattribute. Ich habe keine Ahnung, wohin sie geschickt werden, darum frage gar nicht erst. Dieses Glücksgefühl ist der Hauptunterschied zwischen einer Mine für Sträflinge und der Hauptspielwelt. In der Hauptwelt gibt es diese Funktion nicht, denn dort spielt man mit Filtern, die praktisch nicht zu entfernen sind. Jetzt zu dem, was du heute Morgen gesehen hast: Fast alle hier lächeln sich an und sind aus einem einfachen Grund nett zueinander: das Attribut Liebenswürdigkeit. Am Anfang erhöht man das Level dadurch, indem man einfach jeden anlächelt, doch ab Level 6 muss man wirklich glauben, dass man die Person vor einem mag, dass man gern mit ihr spricht, sie gern anlächelt und so weiter. Man darf keine Unaufrichtigkeit fühlen. Nur so kann man weiterhin Erfahrungspunkte sammeln. Ich kann mich an einen Kerl erinnern, der Level 32 in Liebenswürdigkeit erreichte. Es ist kein Hauptattribut und man kann bis Level 100 gehen.“
Kart hielt einen Moment inne, atmete tief durch und fuhr dann fort: „Was den Vorfall von heute Abend betrifft ... Es ist am einfachsten, in dem Attribut zu leveln, das man in der wirklichen Welt praktiziert hat. Darum setzt sich hier Niedertracht durch. In dieser Mine leveln die meisten in Liebenswürdigkeit und gleichzeitig in Niedertracht. Jeder versucht, andere mit schmutzigen Tricks hereinzulegen. Man kann nicht direkt zuschlagen, doch etwas einzufädeln, das anderen Schaden zufügt, ist immer machbar. Die Sträflinge werden immer einfallsreicher und erfinden ständig neue Wege, um andere zu betrügen. Du bist neu hier, deshalb werden sie versuchen, dich mit den einfachsten Tricks zu hintergehen, so wie heute Abend. Die Intrigen werden nach und nach schwerer durchschaubar, wofür du mein Bedauern hast. Jeder musste diese Erfahrungen machen. Ein guter Mann, der übrigens auf Bewährung in die Hauptspielwelt entlassen wurde, sagte einmal, dass unsere Mine den Namen ‚Die heuchlerische Mine‘ oder ‚Die Mine der Heuchler‘ verdiene. Jetzt weißt du, wie es hier läuft.“
Das einzige, was mir zu Karts Ausführungen einfiel, waren Flüche. Oh Gott, wo war ich bloß gelandet?!



[1] Charakter aus einem russischen Märchen
[2] Siehe 1
[3] Lied aus Pu der Bär von A. A. Milne
[4] Ritual sibirischer Schamanen

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