Monday, June 13, 2016

Kapitel 2 - Barliona: Spiel ums Überleben (Der Weg des Schamanen Band 1)

Kapitel 2. Die Pryke-Mine. Der Anfang 


Die Pryke-Mine lag in all ihrer Schönheit vor mir. Großartige, etwa 100 Meter hohe Felsklippen erhoben sich entlang der gesamten Grenze um die Mine. Ihre Überhänge formten eine Art Dach, das das Gelände umschloss. ‚Wie das Dach eines Stadions‘, schoss es mir durch den Kopf. Selbst unter größten Anstrengungen wäre es nicht möglich, an dieser Wand hinaufzuklettern, obwohl die vereinzelten Felsvorsprünge fast dazu einluden. ‚Interessant‘, dachte ich. War die Mine von Bergen umgeben oder führte sie tief in die Erde hinein? Ich sollte jemanden fragen, falls die Idee, sich ein Loch aus der Mine zu graben, Anklang fände. Mir kam noch ein weiterer Gedanke: War diese Mine überhaupt mit der Hauptspielwelt verbunden oder handelte es sich um einen separaten Ort auf dem Serverspeicher? Ich könnte ein Loch graben und nirgends ankommen.
Auf den ersten Blick lag die Mine in einem schönen Tal, das einige Kilometer lang und etwa einen Kilometer breit war. Das Gelände war uneben und teilte sich in zwei Bereiche. In dem ersten, der etwa 300 Meter lang war, befanden sich mehrere Holzgebäude. Eines davon erkannte ich sofort als Schmiede. Die anderen blieben mir vorläufig ein Rätsel, doch es waren höchstwahrscheinlich Sträflingsbaracken. Der zweite Bereich des Tals war durch einen unscheinbaren, stellenweise schiefen, löchrigen Zaun abgetrennt. Von der Seite der Mine kamen die Rufe der Sträflinge und die Geräusche der Spitzhacken. Dort würde ich also arbeiten. Von der Stelle, an der ich stand, hatte ich nur eine eingeschränkte Sicht, denn der Blick wurde durch eine riesige Wolke aus grauem Staub verdeckt. Das Seltsame war, dass ich den Staub zwar sehen konnte, ihn jedoch nicht fühlte. Es war wahrscheinlich nur ein grafischer Effekt, um diesen Ort authentischer wirken zu lassen.
Nicht weit von der Stelle, an der ich in das Spiel eingesetzt worden war, etwas weiter von den anderen Gebäuden entfernt, stand ein Haus, an dem ein Schild mit den Worten „Willkommen in der Pryke-Kupfermine” befestigt war. Aha, das war also das Verwaltungsbüro, in dem ein furchterregender Beamter saß, der mir Zugang zur Hauptspielwelt gewähren konnte.
Ja, Zugang zur Hauptspielwelt. Kurz bevor ich in die Kapsel gesetzt worden war, hatte ich nachgelesen, was Artikel 78, Abschnitt 24 besagte, den der Richter zitiert hatte, als er die Möglichkeit des Eintritts in die Hauptspielwelt erwähnt hatte. Bis dahin hatte ich ihm bei meiner Vorbereitung wenig Beachtung geschenkt. Doch er hob meine Stimmung etwas, denn er besagte: „Falls der Sträfling sich bei den Wächtern des Haftorts Ansehen verdient, kann ihm oder ihr erlaubt werden, in die Hauptspielwelt zu wechseln.” Der ellenlange Text erklärte weiterhin, dass man für sechs Monate in einer besonderen Kolonie leben musste, selbst wenn man sich schon am zweiten Tag der Haft Respekt verdiente, und dass man dem Unternehmen beim Verlassen der Mine 30% seines verdienten Geldes abtreten musste. Da war noch etwas anderes gewesen, an das ich mich nicht mehr erinnern konnte, doch die Hauptsache war, dass es eine Möglichkeit für mich gab, in die Hauptspielwelt zu wechseln.
Darum war mein vorrangiges Ziel für die nächste Zeit, mir Ansehen zu verdienen und den Verantwortlichen der Mine dazu zu bringen, mich zu mögen. Oder auch: gemocht zu werden und mir dadurch Respekt zu verschaffen. Letztlich war das auch egal, Hauptsache, das Ergebnis war, dass ich die Mine verlassen konnte. Großartig, ich war erst ein paar Minuten hier und arbeitete bereits an einem Plan, diesen Ort zu verlassen.
Jetzt musste ich nur noch herausfinden, was ich in den nächsten acht Jahren arbeiten und spielen musste und vor allem, mit wem ich zusammenwohnen würde. Ich musste mir meinen Charakter, seine Statistik und Beschreibung genau ansehen. Als ich mich auf das Gefängnis vorbereitet hatte, hätte ich nie gedacht, dass man mir einen Schamanen zuweisen würde, denn in allen Foren wurde behauptet, Sträflingen würden gewöhnlich der Klasse des Kriegers oder des Schurken zugeteilt. Daher hatte ich mich über diese Klassen informiert und war fast zum Experten geworden. Niemand hatte in den Foren über die Möglichkeit geschrieben, dass ein Sträfling in einer magischen Klasse enden konnte. Verflucht! Ich hatte keine Ahnung, wie man zauberte, und es mir selbst beizubringen, würde schwierig werden. Ich lud das Fenster mit der Beschreibung meines Charakters:




Statistik des Spielers Mahan
Erfahrung
1
von
1oo
Zusätzliche Attribute
Volk
Mensch


Klasse
Schamane
Körperschaden
11
Hauptberuf
Juwelier
Magieschaden
3
Charakterlevel
1


Trefferpunkte
40
Physischer Widerstand
6
Mana
10
Magieresistenz
0
Energie
100
Feuerresistenz
0
Attribute
Anteil
Grundwert
+ Gegen-stände
Kälteresistenz
0
Ausdauer
0%
4
4
Giftresistenz
0
Beweglichkeit
0%
1
1


Stärke
0%
1
1


Intelligenz
0%
1
1
Ausweichchance
0,60%
Nicht ausgewählt



Trefferchance
0,40%
Nicht ausgewählt





Nicht ausgewählt





Nicht ausgewählt





Freie Attributpunkte

0


Berufe




Juwelierhandwerk
0%
0
0


Völkerbonus: Ansehensgewinn bei allen Fraktionen wird um 10% erhöht

Was für eine „großartige” Statistik! Mein virtuelles Herz brach fast, als ich diesen Schamanen mit meinem Level-87-Jäger verglich. Er sah neben meinem früheren Charakter einfach nur armselig aus. Seufz.
Energie. Das bereitete allen Sträflingen am meisten Kopfzerbrechen. In der Hauptspielwelt würde der Charakter einfach anhalten, wenn die Energie auf 0 fiel, sich für einige Minuten ausruhen, bis er sich erholt hatte, und dann wieder die Befehle des Spielers ausführen. Aber hier, so hieß es, wäre das nicht so einfach. Wenn man Energie verlor, wurde man wirklich müde und die Trefferpunkte verringerten sich langsam. Ein plötzliches Absinken der Energie könnte sogar zum Tod des Charakters führen. Das musste ich genauer testen, denn bei meinem Jäger hatte ich wenig darauf geachtet.
Ausdauer. Sie bestimmte die Anzahl der Trefferpunkte im Verhältnis 1:10. Je höher die Ausdauer, desto langsamer verlor man Energie. An das genaue Verhältnis in diesem Fall konnte ich mich nicht erinnern, wusste aber, dass es so war. Um zu überleben, musste ich meine Ausdauer so hoch wie möglich leveln.
Stärke. Das war das wichtigste Attribut für den Erzabbau. Ich wusste nicht, ob sie einen Einfluss auf das Erz selbst hatte, denn in den Handbüchern hatte ich nichts darüber gefunden. Dieses Attribut beeinflusste auch die Stärke meines physischen Angriffs. Da ich kein Nahkämpfer war, war die Kalkulation recht einfach: Körperschaden = Stärke + Waffenschaden. Keine Modifizierungen möglich. Ich nahm an, dass ich wohl ohne auskommen musste.
Beweglichkeit. Äh ... Damit hatte ich mich so gut ausgekannt, als ich meinen Jäger gespielt hatte, doch jetzt wusste ich nicht einmal, wie ich sie einsetzen sollte. In meinem Fall beeinflusste sie nur die Ausweichchance und die kritische Trefferchance. Solange ich keine Nahkämpfe ausführte, nützte mir dieses Attribut nichts.
Intelligenz. Dieses Attribut fehlte Jägern, Kriegern, Schurken und mehreren anderen Klassen. Stattdessen nutzten sie Wut. Intelligenz bestimmte die Mana-Menge, also die Menge der Lebensenergie, im Verhältnis 1:10 sowie die Regenerationsrate, deren genaue Formel ich vergessen hatte. Außerdem bestimmte Intelligenz die Stärke meiner magischen Angriffe, und die Gleichung dazu war: Magieschaden = Intelligenz mal 3. Ich hatte keine Ahnung, wie das alles funktionierte, noch hatte ich je einen Schamanen wirklich in Aktion beobachtet, abgesehen davon, dass sie auf ihre Zaubertrommel schlugen, tanzten und seltsame Lieder sangen. Es musste einen Grund geben, warum sie das taten.
Nicht gewählt. Das war die Stolperfalle bei Barliona, über die sich alle Spieler beklagten. Sie beklagten sich, doch sie spielten trotzdem weiter. Ja, sie verbrannten sich ständig die Finger, schimpften und waren trotzdem hinter den heißen Keksen her.
Bei Barliona konnte jeder Spieler zusätzlich zu den vier Hauptattributen, die zum Standard der meisten Spiele gehörten, vier weitere hinzufügen. Man konnte sie jedoch nicht aus einer vorgegebenen Liste wählen, sondern musste bestimmte Handlungen ausführen, aufgrund derer dem Spieler dann vom System erlaubt wurde, ein bestimmtes Attribut zu wählen. Als ich den Jäger spielte, brauchte ich zum Beispiel Schießkunst, um den Gegner sicher treffen zu können und die Chance zu haben, ihm einen Dreifachschaden zuzufügen. Doch damals wusste ich vorher, dass ich dieses Attribut brauchen würde, darum schoss ich so lange auf den Trainingsdummy, bis das System mir erlaubte, Schießkunst zu wählen. Da man nur vier zusätzliche Attribute wählen konnte, musste man bei der Auswahl gut nachdenken. Natürlich gab es einen Weg, ein unerwünschtes Attribut zu entfernen, obwohl das System das Gegenteil sagte. Der Imperator persönlich konnte Attribute entfernen, doch eine Audienz bei ihm zu bekommen, war für einen einfachen Spieler oft ausgeschlossen. Und selbst wenn man eine Audienz erhielt, kostete es trotzdem noch 20.000 Goldmünzen, sodass Spieler wütende Posts in den Foren verfassten und damit drohten, das Spiel zu verlassen. Aber einige Zeit später löschten sie zumeist den schlecht geskillten Charakter und erstellten einen neuen. Das Spiel war zu verlockend, um damit aufzuhören.
Dann war da noch das Juwelierhandwerk. Level 0 in einem Beruf bedeutete, dass er zwar standardmäßig vorhanden war, doch dass er durch einen Ausbilder aktiviert werden musste. Wahrscheinlich war das nicht besonders wichtig - wo sollte man in einer Mine schon einen Juwelier-Ausbilder finden?
Jetzt werde ich euch kurz erklären, wie diese Attribute verbessert werden konnten. Mit jedem Level erhielt ein Spieler fünf Punkte, die er in eines der Attribute investieren konnte, um so dessen Wichtigkeit zu erhöhen. Aber das war nicht alles. Bestimmte Aktivitäten levelten das Attribut hoch, das am meisten benutzt wurde. Wenn ich zum Beispiel mit meinem Bogen ein Monster erschoss, verdiente ich nicht nur Erfahrungspunkte für die Tötung, sondern mein Fortschrittsbalken für Beweglichkeit stieg um einen bestimmten Prozentanteil. Sobald der Balken 100% erreichte, erhöhte sich der Wert für Beweglichkeit um 1, der Balken wurde zurückgesetzt und das Ganze begann von vorne. Je öfter ich also Monster mit dem Bogen traf, desto höher stieg meine Beweglichkeit. Hier in der Mine war Stärke das wichtigste Attribut, sie würde sich vor allen anderen erhöhen.
Plötzlich wurde ich aus meinen Tagträumen gerissen.
„Steh da nicht so herum! Beweg' dich!” Die grobe Stimme des Aufsehers holte mich in die „Realität” zurück. In den Handbüchern stand, dass alle Aufseher der Haftorte NPCs waren, doch mit welchen Verhaltensweisen sie programmiert wurden, hatten die Designer in der Hand, die diese Orte entwickelten. Da niemand Sträflinge mochte, waren die Wächter mit einer entsprechenden Persönlichkeit programmiert worden. All das schoss mir blitzschnell durch den Kopf, und meine Träume von der Freiheit schienen wie Seifenblasen zu zerplatzen.
„Los, los! Der Chef wartet nicht gern”, wiederholte der Wärter und schubste mich in Richtung des Verwaltungsbüros.
Im Inneren des Gebäudes war es überraschend ruhig und angenehm. Ich hatte das Gefühl, in einer völlig anderen Welt zu sein. Ich sah exquisite Statuen, Gemälde an den Wänden, einen großen Kristallkronleuchter, Teppiche und Holzschnitzarbeiten, und eine kühle Brise wehte an mir vorbei. Die harmonische Atmosphäre erinnerte eher an den Landwohnsitz eines reichen Aristokraten als an das Verwaltungsbüro einer Mine voller Sträflinge. Der Direktor der Mine saß hinter einem herrlich gearbeiteten Tisch in einem separaten Büro. Er war ein riesiger Ork, etwa zwei Meter groß, grün und bedrohlich, wie alle Vertreter seines Volks.
„Schamane Mahan”, sagte der Direktor mit einer tiefen Bassstimme, die durch das Zimmer hallte. Er war dabei, ein Dokument zu lesen, wahrscheinlich meine Verfahrensakte. Die Erscheinung des Orks erinnerte mich an jemanden, doch mir fiel nicht ein, an wen. Der Direktor war ruhig und würdevoll wie die Schneekönigin, wenngleich sich ihr Aussehen völlig unterschied. An wen erinnerte er mich nur? „Verurteilt zu acht Jahren für die Straftat, das Kontrollprogramm der städtischen Kanalisation gehackt zu haben, was zur Abschaltung des Systems führte. War es deine Idee oder hat dich jemand angestiftet?”, fragte der Ork, ohne eine einzige Regung zu zeigen. Das völlige Fehlen der Sprachmelodie ermunterte einen nicht gerade dazu, ein Lied anzustimmen. Lieder. Und jetzt singe ich mein letztes Lied ... Akela!
Das war es, woran der Ork mich erinnert! An Akela aus Das Dschungelbuch von Kipling, der einsame Wolf, Moglis Mentor. Ich sah den majestätischen Wolf aus dem uralten Film vor mir, wie er auf einem Felsen saß. Ja, wenn der Wolf grün wäre, mit einem zu Brei geschlagenen Gesicht und nach außen gedrehten Fangzähnen, wäre er fast das Ebenbild des Direktors der Pryke-Kupfermine. Obwohl ... um das genaue Ebenbild zu sein, müsste der Wolf noch rote Augen haben.
„Du ziehst es also vor, nichts zu sagen. Nun gut. Das ist deine Entscheidung”, sagte der Direktor, während ich mir noch lebhaft vorstellte, wie er wohl mit einem Wolfspelz aussähe. Plötzlich fühlte ich eine große Schwere, meine Beine gaben nach und ich fiel zu Boden, ohne meinen Blick von dem Ork abzuwenden. Sofort leuchtete eine Meldung vor meinen Augen auf:

Dein Ansehen bei den Wärtern der Pryke-Mine ist um 10 Punkte gesunken. Du bist 990 Punkte vom Status „Misstrauisch“ entfernt.
Achtung! Völkerboni gelten auf dem Gelände der Pryke-Kupfermine nicht.

„Ich wiederhole die Frage!” Mir wurde sofort klar, dass er wusste, wie man seine Stimme erhob. Und er konnte es gut, denn mir lief es eiskalt den Rücken hinunter, und ich war bereit, ihm alles zu erzählen. Das nenne ich Einfluss. Sein Charisma war wahrscheinlich in unermessliche Höhen gestiegen. „War es deine Idee, den Imitator zu zerstören, oder hat dich jemand dazu angestiftet?”
Mein Körper fühlte sich schwer und bleiern an, doch in meinem Kopf klickte etwas, und ich war wieder in der Lage, rational zu denken. Dass ich auf dem Boden lag, half mir beim Überlegen. Diese Methode sollte ich mir für die Zukunft merken. Ich hatte zwei Möglichkeiten: nichts zu sagen oder ihm die ganze Geschichte zu erzählen. Im ersten Fall würde ich höchstwahrscheinlich Ansehen verlieren, bevor man mich zum Arbeiten in die Mine schickte. Die zweite Möglichkeit bedeutete, dass ich einem Imitator erzählen würde, wie ich einen anderen zerstört hatte - und würde ebenfalls Ansehen verlieren. Wer wusste schon, wie dieser Ork programmiert worden war?. Man sollte immer auf das Schlimmste gefasst sein. Ich würde also auf jeden Fall der Dumme sein ... Verdammt, aber es half alles nichts, ich musste antworten.
„Ich habe den Imitator nicht zerstört. Ich hatte den Auftrag, eine Sicherheitsüberprüfung durchzuführen, und das habe ich getan.” Ich versuchte, mit ruhiger Stimme zu sprechen, doch unter dem bohrenden Blick des Orks brachte ich nur ein Flüstern heraus. „Und man kann mich kaum dafür verantwortlich machen, dass der Imitator so schlecht geschützt war. Ich habe nur meinen Auftrag ausgeführt”, wiederholte ich. Ich konzentrierte meine ganze Kraft darauf, aufzustehen oder wenigstens auf die Knie zu kommen, doch meine Arme versagten ihren Dienst und ich fiel wieder zu Boden.
„Einen Auftrag ...”, sagte der Ork nachdenklich. Wenn man sich Mühe gab, konnte man tatsächlich Gefühlsregungen in seiner Stimme erkennen. Sie waren nur tief verborgen. „Gut, deiner Ansicht nach war es also ein Auftrag. Dann hör gut zu, Ausführer des Auftrags, Imitatoren zu ermorden: Du gehst jetzt zu Rine, wo dir der Beruf des Bergarbeiters und der Starterbeutel zum Sammeln von Erz zugeteilt wird. Danach wird dir gezeigt, wo du von nun an arbeiten wirst. Für alle Sträflinge gelten die gleichen Regeln: Als Bergarbeiter musst du deine Tagesquote von zehn Einheiten pro Level erfüllen. Was du darüber hinaus erarbeitest, kannst du an Rine verkaufen. Es gibt zwei Mahlzeiten am Tag, morgens und abends. Wasser gibt es in der Mine. Irgendwelche Fragen? Nein? Dann kannst du jetzt gehen.”
Das Schweregefühl verließ mich, und ich war wieder Herr meines Körpers. Beim Aufstehen sah ich den Ork an, der mich bereits vergessen hatte und in einer anderen Akte las. Verdammt, so konnte ich die Unterhaltung nicht enden lassen. Ich musste ihn etwas fragen, doch was? Über die Mine? Er würde mich sofort zu Rine schicken. Über eine Möglichkeit, die Mine zu verlassen? Er würde sagen, dass es möglich wäre, sobald ich 100 Millionen in Gold bezahlen würde. Was konnte ich ihn bloß fragen? Moment mal! Ich war ein Juwelier!
„Wenn ich einen Edelstein finde, wem gebe ich ihn? Kann ich ihn selbst bearbeiten?”, fragte ich den Direktor, während der Aufseher mich schon aus dem Zimmer schob. Ich wusste gerade genug über den Bergbau, dass mir diese eher blöde Frage einfiel. Die Entwickler von Barliona hatten sich einen Scherz mit den Juwelieren erlaubt. Man konnte keine ungeschliffenen Steine von NPCs kaufen, denn sie verkauften nur bereits bearbeitete Steine. Beim Töten von Monstern kam man manchmal in den Besitz von Edelsteinen, und ansonsten konnte man sie sich nur aus Erzvorkommen oder bei der Erzverarbeitung beschaffen. Andere Möglichkeiten gab es nicht. Beim Spielen mit meinem Jäger hatte ich ein paar Mal gesehen, wie Leute Topas oder Rubine aufsammelten, die hochstufige Monster hatten fallen gelassen. Hier gab es diese Monster nicht, und ich hatte keine Ahnung, was ich benötigte, um das Erz zu durchsuchen. Wahrscheinlich waren bestimmte Werkzeuge nötig. Doch einen Edelstein in einer Ader zu finden, war naheliegend - wenigstens meiner Ansicht nach.
Stille breitete sich im Zimmer aus. Sogar der Wärter hielt den Atem an und blickte zu seinem Chef.
„Wie du richtig bemerkt hast, gibt es hier viele Steine”, antwortete er, und ich fragte mich, ob man den Direktor wütend machen konnte. Er war so ruhig wie eine Pythonschlange. Als ob er meine Gedanken gelesen hätte, lächelte der Ork plötzlich. „Falls du einen Edelstein findest, schreibe ich dir persönlich eine Tagesquote gut. Ein Edelstein, eine Tagesquote. Was die Bearbeitung betrifft, du bist Juwelier, und falls du einen Edelstein findest, bekommst du von uns eine Anleitung, um ihn zu schleifen. Oder du verkaufst ihn an Rine, der dir einen fairen Preis dafür geben wird. Also, Bergarbeiter Mahan, Bezwinger von Imitatoren und Edelsteinsucher, lass dich nicht aufhalten. Es liegt alles in deinen Händen und in deiner Spitzhacke.” Der Ork lehnte sich in seinem Armsessel zurück, der wie ein Thron aussah, und lächelte weiter.
Vor meinen Augen erschien eine Meldung:

Dein Ansehen bei den Wärtern der Pryke-Mine ist um 10 Punkte gestiegen. Aktueller Status: Neutral.

Puh! Ich war sehr niedergeschlagen gewesen, als ich die zehn Ansehenspunkte verloren hatte. Angesichts meiner Pläne, die Mine verlassen zu wollen, war ein Punkteverlust gleich am ersten Tag nicht gerade schlau. Mit Rine musste ich vorsichtiger sein, bei ihm wollte ich auf keinen Fall Punkte verlieren. Ich drehte mich um, und der Aufseher brachte mich zu Rine.
Dieser stellte sich als Zwerg heraus, der in der nahegelegenen Schmiede gerade ein Metallstück mit einem Hammer bearbeitete. Er war etwa 1,20 m groß, stämmig und untersetzt, hatte muskulöse Arme und dichte Brauen über funkelnden Augen sowie eine Kartoffelnase. Zwerge wie er waren mir in Barliona schon oft begegnet. Während ich mich Rine näherte, amüsierte ich mich innerlich: Wo sonst würde ein Zwerg arbeiten als in einer Schmiede oder einer Erzmine?
„Wie ich sehe, haben wir Verstärkung bekommen”, sagte Rine sachlich und musterte mich von Kopf bis Fuß. „Sehr gut, uns gehen langsam die Arbeitskräfte aus. Du willst also lernen, wie man eine Spitzhacke schwingt, ohne sich aus Versehen die Beine abzuschlagen?”
Ich hatte aus meiner schmerzhaften Erfahrung mit dem Direktor der Mine gelernt und antwortete ihm sofort. „Richtig, ehrenwerter Meister Rine. Ich werde für die nächsten acht Jahre in der Mine arbeiten, darum wäre ich dankbar, wenn Ihr etwas von Eurem Wissen und Eurer Erfahrung im Erzbergbau an mich weitergeben würdet”, sagte ich mit allem Charme, den ich aufzubringen vermochte.
„Ich habe genug Erfahrung, wie du richtig bemerkt hast”, murmelte der Zwerg und sah erfreut aus. „Es ist nicht schwer, dir beizubringen, Erz abzubauen. Das Wichtigste ist, deine Beine nicht mit der Spitzhacke zu treffen, der Rest ist einfach. Hier, dies ist eine Kupfererzader, die du abbauen musst.” Plötzlich erschien ein Steinhaufen, der eine Erzknolle enthielt, neben dem Zwerg.
„Nimm die Spitzhacke und schlage zu”, fuhr der Zwerg fort. „Steh nicht doof rum! Nimm deine Spitzhacke und schlage auf den Steinhaufen.”
„Was geschieht, wenn sich jemand weigert, zu arbeiten? Oder wenn man die Tagesquote nicht erreicht, weil man sich lieber hinsetzt, um sich auszuruhen?”, fragte ich, während ich mich langsam dem Steinhaufen näherte.
„Ganz einfach. Keine Tagesquote, kein Essen. Nach einem Tag ohne Essen beginnt der Körper, sich selbst zu verzehren. Nur wenige können die Schmerzen aushalten, wenn sich ihr Magen selbst verdaut. Dann kommt der Tod und eine Wiederauferstehung in der Mine. Das wiederholt sich, bis der Häftling arbeitet wie alle anderen. Soweit ich mich erinnere, hat der härteste Sträfling vier Wiederauferstehungen ausgehalten, bis er aufgegeben hat. Es heißt, dass die Empfindungen beim eigenen Tod eine unangenehme Angelegenheit sind. Willst du es ausprobieren, zu verhungern? Nein? Dann mach, was ich gesagt habe, nimm die Spitzhacke und fange an, Erz abzubauen”, sagte der Zwerg nüchtern.
Ich ging zu dem Steinhaufen, den der Zwerg als Kupferader bezeichnet hatte, schwang die Hacke und schlug zu. Meine ganze aufgestaute Wut legte ich hinein und versuchte, den Haufen mit einem Schlag zu zerstören. Funken flogen, die Spitzhacke prallte von den Steinen ab und traf mein Bein. Die Kupferader hatte nicht einmal einen Kratzer und lag da als Beweis meiner völligen Unfähigkeit als Bergarbeiter.
„Auf Kupfererz einzuschlagen”, flüsterte ich unter Schmerzen, „ist ein Scheißjob!” Am Rand meines Blickfelds leuchtete eine Meldung auf:

Schaden erlitten. Trefferpunkte reduziert um 5: 11 (Waffenschaden + Stärke) - 6 (Rüstung). Insgesamt: 35 von 40.

„Äh ...”, hustete der Zwerg. „Das hat nicht hingehauen, was? Deine Spitzhacke hat's dir richtig gegeben. Schlage nicht zu fest auf den Steinhaufen. Es ist kein Mithril-Erz, du brauchst nur wenig Kraft einsetzen. Immer sachte. Schlage Stück für Stück ab und ziele besser. Du musst zwischen die Steine schlagen. Welchen Sinn sollte es haben, den Stein selbst zu treffen?”
Ein Bergarbeiter zu sein, war also nicht ganz so einfach. In meinem früheren Leben, wie ich die Zeit nannte, als ich meinen Jäger gespielt hatte, hatte ich die meiste Zeit damit verbracht, Monster zu erschießen, und nicht damit, Rohstoffe zu gewinnen. Die wenigsten Leute vergeudeten ihre Zeit damit, schließlich gab es ja Sträflinge wie mich, die diese Aufgabe für sie erledigten. Einige von uns bauten Erz ab, andere sammelten Kräuter oder erschlossen andere Rohstoffe. Es gab viele Häftlinge und eine Menge Arbeit. Nahezu 90% aller Rohstoffe in Barliona wurden durch Sträflinge erschlossen.
Ich musste also zwischen die Steine zielen, anstatt blindlings auf sie einzuschlagen, und mäßigen, jedoch nicht zu geringen Kraftaufwand einsetzen. Also gut, ein neuer Versuch. Ich hob die Spitzhacke, fand eine Stelle, an der sich zwei Steine berührten, und schlug zu. Dieses Mal funktionierte es. Die Spitzhacke prallte nicht ab, sondern saß fest zwischen den Steinen.
„Genau so”, sagte der Zwerg und sah zufrieden aus. „Du hast es verstanden. Gut gemacht, Junge. Jetzt musst du den Stein lösen und machst mit dem nächsten Schlag weiter.”
Ich zog die Spitzhacke mit einiger Mühe heraus und führte einen Schlag nach dem anderen gleichmäßig aus. Die ersten 30 Schläge waren leicht. Ich grub nach Erz wie ein echter Bergarbeiter! Ich würde meine Erz-Tagesquote erfüllen und den Rest könnte ich für mich behalten. Ich würde Geld damit verdienen, Ansehen gewinnen und außerdem bald frei und wohlhabend sein! Die nächsten 30 Schläge wurden schwieriger, aber ich sah mich immer noch als erfolgreichen Erzbergarbeiter. Doch meine Pläne, reich zu werden, zeigten bereits die weiße Flagge, und in meinem Kopf spielte schon ein Trauermarsch.
Um einige wenige Steine zu lösen, hatte ich etwa 200 Schläge gebraucht, und mir wurde klar, dass ich mit Erz nicht genug Geld verdienen würde. Der Haufen war genauso groß wie vorher, und falls der Zwerg recht hatte, musste ich nur noch 400 Schläge ausführen, um ans Ziel zu kommen. Nur 400! Meine Hände zitterten und konnten die Spitzhacke kaum noch halten. Schweiß lief mir in die Augen und meine Beine knickten ein, doch es lag noch viel Arbeit vor mir. Am Rand meines Blickfelds leuchtete beharrlich eine Meldung auf, was mich so störte, dass ich sie vor meine Augen bewegte, um sie richtig lesen zu können. Sie machte mich nachdenklich:

Du bist müde. Aktuelle Energie: 35 von 100.
Deine Trefferpunkte wurden um 4 reduziert. Insgesamt: 31 von 40.

„Wirst du müde?”, fragte der Zwerg plötzlich. „Das ist normal. Sieh dir an, wie viel du schon geschafft hast. Hier, trinke etwas”, sagte er und gab mir eine große Tasse mit Wasser. Die Tasse hatte schon bessere Tage gesehen. Sie war schmutzig und hatte überall Flecken, doch ich wollte Rine nicht enttäuschen, ergriff sie und probierte vorsichtig den Inhalt. Nachdem ich den ersten Schluck genommen hatte, war es, als ob mich ein Blitz getroffen hätte. Das Wasser war frisch und belebend, und ich fühlte neuen Ansporn, weiterzuarbeiten. Ich trank die ganze Tasse leer und bemerkte überrascht, dass gewöhnliches Wasser die Quelle großer Freude sein konnte. Früher hatte ich besondere Elixiere zu Wucherpreisen gekauft, doch hier erfüllte einfaches Wasser den gleichen Zweck. Als Bonus erschien eine Meldung:

Du hast deine Trefferpunkte wiederhergestellt. Insgesamt: 40 von 40.
Du hast deine Energie wiederhergestellt. Insgesamt: 100 von 100.

Ich arbeitete weiter, schwang abwechselnd die Spitzhacke und trank Wasser. Nach drei Stunden war der Haufen in kleine Teile zerschlagen und an seiner Stelle lagen mehrere mittelgroße, rötliche Steine. Da war es also – Kupfererz.
„Endlich”, murmelte der Zwerg. „Ich bin hier fast eingeschlafen. Das ist dein Erz. Wie du siehst, hast du fünf Stücke gewonnen, was deiner halben Tagesquote entspricht. Je mehr Erz du abbaust, desto schneller erhöhst du deine Fähigkeiten und desto weniger Zeit brauchst du für eine Ader. Von jetzt an bist du offiziell ein Erzbergarbeiter, und die verbleibende Stabilität der Ader wird dir angezeigt. Das ist nützlich für deine Arbeit. Hier ist ein Beutel für deine Erträge. Er ist zwar klein, doch für den Anfang reicht er aus.“
Im selben Moment erschien eine Meldung:

Du hast den Beruf „Bergarbeiter” verdient. Aktuelles Level: 1.
Du hast einen Gegenstand erhalten: Kleiner Bergarbeiterbeutel (8 Plätze, freie Plätze insgesamt: 8)
Achtung! In der Pryke-Kupfermine können keine Leistungspunkte verdient werden.

Ich warf mir den Beutel über die Schulter, und wir gingen in die Mine hinein, wo Rine mir die Stelle zeigen wollte, an der ich ab morgen arbeiten würde. Endlich konnte ich alles ohne die graue Staubwolke sehen. Der Zaun, der die Baracken von der Mine trennte, hatte mehrere Eingänge, die die Arbeiter benutzten, um zu den ihnen zugewiesenen Abschnitten zu gelangen. Das Gebiet war in Quadrate von etwa 20 qm aufgeteilt, die jeweils einen Eingang an einer Seite hatten. Die anderen Seiten des Quadrats bestanden aus etwa eineinhalb Meter hohen Steinhaufen, und es war nicht gerade einfach, über sie hinüber zu klettern, um einen Abschnitt zu betreten. Zwischen den Abschnitten verliefen schmale Pfade, auf denen die Aufseher gemächlich auf und ab gingen. Später fand ich heraus, dass nur die Besitzer und Leute, denen sie die Erlaubnis dazu erteilt hatten, die Abschnitte betreten konnten. Alle anderen hatten keinen Zugang.
Auf dem Weg zu meinem Abschnitt kamen wir an Sträflingen bei der Arbeit vorbei, die mir neugierige Blicke zuwarfen. Ich bemerkte überrascht, dass ich weder Verachtung noch Aggression in ihren Augen entdecken konnte. Das erschien mir seltsam, denn Häftlinge verhielten sich für gewöhnlich anders. Irgendetwas stimmte hier nicht. Ich beschloss, der Sache später nachzugehen. Mein Abschnitt befand sich ganz am Ende der Mine und enthielt 20 Kupferadern. Ich fragte mich, ob das viele oder wenige waren.
„Hier wirst du von nun an arbeiten”, sagte der Zwerg. „20 Adern reichen dir für einige Zeit. Die Adern werden täglich wiederhergestellt, du solltest also für das nächste Jahr genug Arbeit haben. Wasser gibt es dort drüben.” Rine zeigte zur Mitte der Mine. „Deine Nachbarn werden dich in Ruhe lassen, hier benehmen sich alle anständig. Ich glaube, ich habe dir alles gesagt, was du wissen musst, um anfangen zu können. Doch falls du Fragen hast, komm zu mir. Es kann sein, dass ich etwas vergessen habe.”
Ich wollte vorerst nichts weiter über den Erzabbau wissen, ich würde mehr darüber lernen, während ich arbeitete. Doch ich musste ihm irgendeine Frage stellen. Ich beschloss, ihn nach meinem Beruf zu fragen. Das Juwelierhandwerk war für mich vorläufig deaktiviert, denn ich brauchte einen Ausbilder, der mir erklärte, was ich tun musste, um es freischalten zu können. Aber wo sollte ich in der Mine einen finden? Vielleicht konnte der Zwerg es mir sagen.
„Ehrenwerter Meister Rine”, begann ich und sprach mit so viel Hochachtung und Respekt wie möglich, „mir wurde der Beruf des Juweliers zugewiesen, darum würde ich gern wissen, ob es in der Mine jemanden gibt, der mir diesen Beruf beibringen könnte, damit er nicht verschwendet ist.”
„Ein Juwelier, sagst du?”, lächelte der Zwerg. „Wir haben hier nur Kunsthandwerker: einen Maler, einen Bildhauer und einen Glasbläser. Wir haben sogar einen Holzschnitzer. Doch es gibt noch keinen Juwelier. Du hast das Zimmer unseres Direktors gesehen, nicht wahr? Es wurde von unseren Sträflingen dekoriert. Was dich betrifft, könnte ich dir die grundlegenden Fähigkeiten für das Juwelierhandwerk beibringen, doch darüber solltest du dir vorläufig keine Gedanken machen. Ich tue es nicht umsonst, und du hast noch kein Geld. Wir können uns darüber unterhalten, sobald du einen regelmäßigen Verdienst durch den Verkauf von Erz hast. Übrigens: Ich kaufe das Erz für zehn Kupfermünzen pro Einheit, und um die einfachsten Juwelier-Handgriffe zu erlernen, benötigst du zehn Silbermünzen. Rechne es dir aus. Und vergiss nicht: Um das Juwelierhandwerk erlernen zu können, musst du es zuerst freischalten, und das kostet weitere 20 Silbermünzen. Juwelierwerkzeuge sind auch nicht gerade billig, dafür musst du eine Goldmünze investieren. Jetzt hast du eine ungefähre Vorstellung davon, wie lange es dauern wird, ein Juwelier zu werden. Ich gehe jetzt, ich habe sowieso schon zu viel Zeit mit dir verbracht. Heute brauchst du nicht zu essen, darum rate ich dir, dich auszuruhen. In den nächsten acht Jahren wirst du nicht viel Gelegenheit dazu haben. Und stehe morgens nicht zu spät auf, das Essen gibt es nur für zwei Stunden nach dem Weckruf.”
Ein Weckruf?


pre-order the book on Amazon

No comments:

Post a Comment